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Mannheim, Stadt der Offenheit und Toleranz? Rassismus im stadtpolitischen Diskurs um Migration aus Osteuropa

Seit etwa einem Jahr stehen Migrant_innen aus Osteuropa im Zentrum einer stadtpolitischen Diskussion in Mannheim. Die Migration von Menschen, die überwiegend als „Bulgaren“ und „Rumänen“ kategorisiert werden, wird dabei aus unterschiedlichen Perspektiven problematisiert. Die hierzu bemühten Argumentationsstränge sind vielfach von rassistischen Denkmustern und Klischees durchzogen. Neben verschiedenen „Integrationsmaßnahmen“ wird damit vor allem nach der Polizei gerufen, die den „unkontrollierbaren Zuzug“ (Mannheimer Morgen vom 05.09.2012) regulieren soll.

Der Stadtteil als Nest – Migration als Nestbeschmutzung
Im Fokus der Diskussion stehen insbesondere die Stadtteile Neckarstadt-West und Jungbusch (Innenstadt). Sowohl von außen wie auch aus den Stadtteilen heraus wird ein Zusammenhang zwischen Migration und abnehmender Wohnqualität konstruiert. So begründet eine Hausbesitzerin aus der Neckarstadt-West ihre ablehnende Haltung mit einem „mulmigen Gefühl“ bei ihren Mieter_innen, wenn diese abends nach Hause kämen. (MM vom 30.11.2012) Ähnliche Befürchtungen und Unterstellungen werden immer wieder angeführt, aber selten hinterfragt. Stattdessen soll die „gefühlte Sicherheit“ erhöht werden, auch wenn sich vermuten lässt, dass die „gefühlte Sicherheit“ bei einigen Bewohner_innen sich erst in einem Stadtteil ohne Migrant_innen realisieren lässt. Trotzdem soll offenbar nicht an der Einstellung der Bewohner_innen, sondern am „Schutz“ des Stadtteils gearbeitet werden. SPD-Stadtrat Reinhold Götz beispielsweise schlussfolgert: „Wir wehren uns, dass die Wohnqualität im Stadtteil weiter abgesenkt wird. Wir dürfen uns die Neckarstadt nicht kaputtmachen lassen“ (MM vom 30.11.2012). Auch die CDU macht deutlich, dass es ihr nicht um die Migrant_innen, sondern um den „Schutz“ vor den Migrant_innen geht: „Wir werden hier keine Willkommenspakete für diese Menschen schnüren. Für uns zählt ausschließlich, die Probleme, die durch den Zuzug dieser Menschen aufkommen, zu lösen.“ (Steffen Ratzel, sicherheitspolitischer Sprecher der CDU-Gemeinderatsfraktion im  MM vom 31.07.2012).
Neckar [1]
Die Degradierung der Subjekte
Neben dieser Wahrnehmung von Migration als „Nestbeschmutzung“ gibt es auch Stimmen, die die auftretenden Probleme nicht nur bei den Migrant_innen, sondern auch in deren Ausbeutung festmachen. Insbesondere die Wohn- und Arbeitssituation der Migrant_innen wird hierbei thematisiert. Unabhängig davon, dass auch hier zahlreiche Unklarheiten und Halbwahrheiten kursieren, werden dabei wahrscheinlich tatsächlich Problemlagen beschrieben, von denen viele Migrant_innen betroffen sind. So müssen zahlreiche Menschen in verdreckten Massenunterkünften wohnen und dafür auch noch völlig überzogene Mieten bezahlen. Ebenso erniedrigend sind vielfach die Arbeitsbedingungen, mit Stundenlöhnen zwischen 1 und 3 Euro für körperlich harte Tätigkeiten. Allerdings zielen die Reaktionen und Maßnahmenpakete (unter dem Stichwort „Integration“) vollkommen an den Betroffenen vorbei, die überhaupt nicht mit in den Diskurs einbezogen werden. Anstatt sie als aktiv (unter widrigen Bedingungen und mit begrenzten Möglichkeiten) handelnde Subjekte wahrzunehmen, werden die Betroffenen zu Objekten der Stadtpolitik degradiert, „für“ welche man Maßnahmen beschließen kann ohne sie vorher auch nur anzuhören. Dieses Unwissen über die eigentlich von der Diskussion betroffenen Menschen wird von Seiten der Stadtspitze auch offen zugegeben: „Wir kennen die zu uns gekommenen Menschen und ihre langfristige Motivation kaum“ (Klaus Eberle, Fachbereichsleiter Sicherheit und Ordnung im MM vom 01.09.2012). Anders als den „besorgten“ Bürger_innen, die in Versammlungen rassistische Unterstellungen verbreiten können, soll den Betroffenen im Stadtdiskurs offenbar aber kein Podium geboten werden.

„Mannheim! Aber sicher und sauber“?
Hinsichtlich der „Problemlösung“ wird im hier skizzierten Stadtdiskurs der Repression eine wichtige Rolle zugedacht. Zeitgleich mit der Problematisierung von Migration wird auch nach Polizei und Ordnungsamt gerufen, von denen ein „hartes Durchgreifen“ erwartet wird. Auch Oberbürgermeister Kurz wandte sich an das Innenministerium und forderte „mehr Polizeipräsenz“. Beifall hierfür kam von der Mannheimer CDU in Person des sicherheitspolitischen Sprechers Steffen Ratzel: „Wir müssen jetzt entschieden handeln, denn wenn sich kriminelle Subjekte erst einmal eingerichtet haben, wird es schwer, sie wieder loszuwerden“ lässt sich Ratzel zitieren und warnt zugleich vor dem Aufbau einer „Willkommenskultur“ (MM vom 05.09.2012). Die Wortwahl der CDU ähnelt dabei auffällig der NPD, die sich auf ihrer Internetseite darüber beschwert, dass die Mannheimer Innenstadt „zum Lieblingsort der Kriminellen“ werde.
Die CDU ließ es sich zugleich nicht nehmen eine Veranstaltungsreihe unter dem Thema „Mannheim! Aber sicher und sauber!“ zu organisieren, in welcher Migration, „Sicherheit“ und „Sauberkeit“ in Zusammenhang gebracht wurde. Neben den Forderungen nach „mehr Polizeipräsenz“ wurden insofern schnell Forderungen nach stärkerer Kameraüberwachung von öffentlichem Raum und nach stärkerer Kooperation auf bundes- und europaweiter Ebene (um Migrant_innen aus Mannheim und Deutschland fernzuhalten) laut. Der Fachbereich Sicherheit und Ordnung der Stadt Mannheim reagierte und gründete eine „Arbeitsgruppe Südosteuropa“, die sich vor allem aus Vertreter_innen von Polizei, Finanzbehörden und Steuerfahndung zusammensetzt. Auch das Polizeirevier Neckarstadt hat eine „Besondere Aufbauorganisation Südosteuropa“ eingerichtet. In Straßen, die als „Problemgebiete“ ausgemacht wurden (z.B. der Mittelstraße im Stadtteil Neckarstadt-West) finden ständig Razzien und diskriminierende Kontrollen statt. Dass es bei den Einsätzen von Polizei und Ordnungsamt aber nicht nur darum gehen soll, Straftaten aufzudecken oder zu verhindern, sondern auch darum, Migrant_innen im Allgemeinen abzuschrecken, gibt die CDU-Gemeinderatsfraktion offen zu. Sie fordert in einer Pressemitteilung vom 03.09.2012, „dass alle ordnungsrechtlichen Maßnahmen ergriffen werden um durch regelmäßige und durch permanente Kontrollen den Aufenthalt in Mannheim so unattraktiv wie möglich zu machen“. Zu solch offen rassistischen Aussagen passt auch die mediale Berichterstattung, etwa wenn im SWR (Beitrag „Ratlos, hilflos, sprachlos. Kommunalpolitik kapituliert vor Zuwanderern aus Bulgarien“ vom 08.11.2012) behauptet wird, die „organisierte Kriminalität“ breite sich aus „wie ein Krebsgeschwür“.
Gleichzeitig finden vereinzelte Stimmen von Mannheimer Bürger_innen auf Diskussionsveranstaltungen und in der lokalen Presse eine Plattform, die unverhohlen Drohungen gegen Migrant_innen aussprechen. Vorfälle von brutaler Selbstjustiz im Jungbusch werden auf Facebook gerechtfertigt und glorifiziert, den Täter_innen wird suggeriert, dass ihre Gewalt durch die Mehrheit der Bewohner_innen gedeckt werde. Wir warnen ausdrücklich davor, solche rassistischen Entgleisungen unwidersprochen zu lassen. Wohin nämlich ein solches rassistisches Klima führen kann, zeigt das rassistische Pogrom in Mannheim Schönau 1992, bei dem eine Asylbewerberunterkunft angegriffen wurde. Damals hatte sich ein Bürgermob mit ideologischer Unterstützung aus der Lokalpolitik tagelang vor der Unterkunft zusammengefunden, um die Flüchtlinge endgütig aus dem Stadtteil zu vertreiben. Die Ausschreitungen führten schließlich zur Schließung der Asylunterkunft, eine ganze Reihe ähnlicher Pogrome Anfang der 90er Jahre führten neben dem Tod von zahlreichen Flüchtlingen zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl. Wie sehr sich die Argumentationslinien damals und heute ähneln, zeigen beispielsweise die Auslassungen der Mannheimer CDU, wenn diese feststellt, dass „die Toleranzschwelle bei unserer angestammten Bevölkerung weit überschritten ist“ (Pressemitteilung vom 03.09.2012).

Konjunkturen des Rassismus
Diese hier skizzierten Vorgänge passieren jedoch nicht zufällig, sondern haben Konjunktur und treten ständig auf ähnliche Art und Weise auf. Die aktuellen kapitalistischen Krisen bedrohen immer stärker den Lebensstandard der Menschen in Europa. Auch in den Ländern, die bislang weniger als andere Länder von den Krisenauswirkungen betroffen waren, herrschen Angst und Verzweiflung vor dem Verlust der eigenen Stellung. Diese Angst und Wut richtet sich aber nur selten gegen das kapitalistische System, das immer wieder Krisen hervorbringt. Viel zu häufig kommt es zur Bildung ausgrenzender Ideologien (die institutionell befördert werden) gegenüber den vermeintlich Schwächeren und Fremden in der Gesellschaft. In Zeiten der ökonomischen Unsicherheit wird das eigene Volk als Kollektiv und Bezugspunkt wiederbelebt. So versuchen sich die Menschen ein Stück Sicherheit zurückzuholen. Offener Rassismus (der sich als Abgrenzungsmerkmal im Kapitalismus nie aufgelöst hat) wird insofern durch die kapitalistischen Krisen verstärkt und wieder einmal salonfähig. Diese Entwicklungen gilt es auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu beobachten, unsere Kritik an ihnen zu artikulieren und gemeinsam Widerstand gegen sie zu entwickeln.

Kampf den rassistischen Zuständen!
Her mit dem schönen Leben für alle!
Für den Kommunismus! [1]

 

[1] Mit dem Begriff „Kommunismus“ bezeichnen wir unsere Vorstellung von einer klassenlosen, herrschaftsfreien Gesellschaft jenseits von Staat, Nation und Kapitalismus. Damit grenzen wir uns von den historischen und gegenwärtigen realsozialistischen Fehlschlägen ab, die sich durch besonders autoritäre Regime kennzeichnen.