Redebeitrag des AK Antifa im Rahmen der Gedenkfeier für die Lechleitergruppe am 15.09.2015
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
in diesen Tagen jährt sich die Ermordung der Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter zum 72. Mal. Wir haben uns – wie jedes Jahr – hier versammelt, um den 14 ermordeten Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken.
Für uns bedeutet der Kampf gegen Faschismus auch der Kampf gegen Fragmente seiner Ideologie. Die Bilder, die diese Tage durch die Medien geistern, Bilder von Horden Deutscher Männer und Frauen, die rassistische Parolen grölen, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft diskriminieren, angreifen, verletzen und ihre Unterkünfte anzünden, zeigen uns, dass viele dieser Elemente faschistischer Ideologie nicht ein Problem kleiner Zirkel organisierter Neonazis, sondern in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet sind. Die Neonazis der NPD und vor allem auch des III. Wegs fühlen sich bestätigt, heizen die Stimmung an und führen zur Eskalation latent vorhandener Vorurteile.
Diese Stimmung, diese Realität erinnert an Anfang der 90er Jahre, als im Taumel des erstarkten Nationalismus durch die Wiedervereinigung ein rassistischer Mob Menschen in Angst und Schrecken versetzte, als Flüchtlingsunterkünfte brannten und zur Beruhigung dieser Arschlöcher das Grundgesetz geändert wurde.
Ist heute alles anders? Ja und nein.
Ja es ist anders: Wir freuen uns, dass viele eine moralische Verpflichtung sehen, den Menschen die hierher fliehen – sei es vor Armut, Naturkatastrophen, Kriegen, Terrorismus oder aus anderen Gründen – ihre Unterstützung anzubieten. Wir freuen uns über viele parteiunabhängige Initiativen, die eine menschenwürdige Situation für Geflüchtete fordern, die Flucht selbst organisieren und die selbst Hand anlegen, um zu helfen. Ja, es ist eine moralische Verpflichtung. Aber es ist auch eine politische Verpflichtung. Solidarität ist ein politisches Prinzip, eine Form der Organisierung des Zusammenlebens von Menschen. Solidarität ist es aber nicht, worauf unsere kapitalistische Gesellschaft aufgebaut ist – und als individuelle, moralische Handlungsanweisung ist sie brüchig und nicht von Bestand. Wie lange sind Menschen bereit zu helfen? Unter welchen Umständen verändert die Hilfe von Menschen, die zuvor kaum oder keinen Kontakt mit Geflüchteten hatten, die Basis der gesellschaftlichen Organisierung?
Fragen, die wir heute nicht klären können.
Und nein, es ist nicht anders, heute im Jahr 2015, die rassistische Gewalt bleibt rassistische Gewalt und ist die Konsequenz aus rassistischer Hetze. Der III. Weg, eine Abspaltung von Vorderpfälzer NPDlern wie Klaus Armstroff und Matthias Herrmann, veröffentlichte eine Karte, auf der Unterkünfte für Geflüchtete markiert waren, als Aufruf, diese anzugreifen. Gleichzeitig liefern nahezu alle Parteien angeführt von CSU und AFD mit ihren Ausführungen über Wirtschaftsflüchtlingen aus den Balkanstaaten, welche in „unsere“ Sozialsysteme einwandern und gegen die es sich „bis zur letzten Patrone“ zu wehren gelte, die Inhalte und Legitimation zur Pogromstimmung. Fast täglich brennen Flüchtlingsheime und wie bereits in den 90ern wird von SPD, CDU/CSU und den Grünen das Recht auf Asyl durch mehr „sichere Drittstaaten“ weiter eingeschränkt und mit Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze nun auch das Schengen-Abkommen kurzerhand außer Kraft gesetzt.
Schaut man sich die Lage an den europäischen Außengrenzen oder auf der Balkanroute an, kann einem nur schlecht werden. Das Mittelmeer hat sich langsam aber sicher zu einem Massengrab entwickelt und die europäischen Staaten haben keine anderen Lösungsvorschläge, als die Festung Europa mit mehr Stacheldrahtzäunen und Militäreinsätzen gegen sogenannte Schlepperbanden weiter auszubauen. Die Trauer über Schiffskatastrophen im Mittelmeer hält indes nur bis kurz nach der Tagesschau, bis dann wieder zur mörderischen Tagesordnung übergegangen wird.
Haben die Geflüchteten erstmal Krieg, Hunger, Folter sowie Frontex, Stacheldraht und Überfahrt hinter sich gebracht und Europa erreicht, sind sie dennoch lange nicht in Sicherheit. Insbesondere im autoritär regierten Ungarn werden Menschen zur Begrüßung von rassistischen Schlägerbanden vor den Augen der Polizei drangsaliert und von dieser anschließend in menschenunwürdige Lager gesteckt.
Auch wenn sich die Bundesregierung, mit Ausnahme der CSU, nicht so recht mit dem europäischen Schmuddelkind Viktor Orban zeigen will, so lässt sie ihn doch gerne die Drecksarbeit übernehmen, während am Tag der deutschen Einheit unter dem Motto „Grenzen überwinden“ die eigene verlogene Weltoffenheit und moralische Überlegenheit zur Schau gestellt wird. Das ist an Zynismus kaum mehr zu überbieten.
Wir könnten uns noch stundenlang über die mitunter von Deutschland, zum Beispiel durch Waffenexporte ausgelösten Fluchtursachen aufregen, allerdings bietet ein Grußwort nicht den geeigneten Rahmen für eine ausführliche, wenn auch notwendige Analyse.
Wir sagen den Rassistinnen und Rassisten im Anzug und auf der Straße: Haltet die Schnauze und haut ab! Und nehmt euren Stacheldraht, eure Grenzen, euren Orban, eure Pegidas und eure NPD am besten gleich mit.
Wir sagen den Helferinnen und Helfern: Macht eure moralisch motivierte Unterstützung zu einer politischen und wehrt euch gegen die unmenschlichen herrschenden Verhältnisse.
Wir sagen: Nehmt euch die Lechleiter Gruppe zum Vorbild, die trotz widrigster Umstände unter unvorstellbaren Opfern für eine freie und solidarische Gesellschaft gekämpft hat. Lasst euch dabei durch nichts entmutigen!
Wir sagen: Grenzen auf für alle!
Für eine solidarische Gesellschaft!
Für die soziale Revolution!