KEIN FRIEDEN MIT DEUTSCHLAND!

17Eröffnungsrede auf der Demo am 3.  Oktober 2007

Der Titel drückt aus, worum es uns geht: Wir wollen das gesellschaftliche Klima verändern und nicht nur an einzelnen Missständen herumdoktorn! Wir wollen gerade heute, am so genannten „Tag der deutschen Einheit“, laut und deutlich sagen: Wir haben nicht vergessen, für welche Ereignisse und Entwicklungen dieser Tag steht, nämlich für das offene Ausleben von Nationalismus, Rassismus und Kapitalismus.

Die Nation bildet die ideologische Grundlage für die modernen und effizienten kapitalistischen Staaten. Dieses Konstrukt beruft sich auf angeblich historische und naturgegebene Gemeinsamkeiten, die willkürlich festgelegt und immer wieder an aktuelle Gegebenheiten angepasst wurden. Dabei ist das Volk, das gerade in Deutschland in primitivster Weise noch immer über halluzinierte Blutsverwandtschaft definiert wird, nichts anderes, als eine soziale Konstruktion, und wurde erst in der jüngeren Geschichte zu einer scheinbar homogenen Gruppe zusammengefasst.

Diese kollektive Identität dient vor allem der Ausgrenzung aller angeblich Fremden und schafft eine ideologische Grundlage für einen kritiklosen Zusammenhalt unter den als deutsch akzeptierten Staatsangehörigen; Eingebürgerte und ihre Kinder und sogar EnkelInnen gelten noch nach Generationen nur als geduldete Fremdkörper. So werden die sozialen Unterschiede zwischen GroßverdienerInnen und Hartz-4-EmpfängerInnen, zwischen Personalchefs und ArbeiterInnen, also zwischen den Klassen im kapitalistischen Wirtschaftssystem mit Hilfe ideologischer Fragmente verwischt und hinter die angeblich gemeinsamen Interessen der deutschen Nation zurückgestellt. Die Tatsache, dass Ausbeutung und Klassenunterschiede untrennbar zum Kapitalismus gehören, wird dabei ausgeblendet.

Die besonders völkische und rassistische Gründungsideologie der deutschen Nation trat nach ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg auf Grund der Einschränkungen durch die Alliierten einige Jahrzehnte lang weniger aggressiv auf. Die unvorstellbaren Gewaltexzesse, an der im Nationalsozialismus fast alle Deutschen mitgewirkt hatten, waren zu grausam gewesen, um die Bestrafung der selbst an der Barbarei beteiligten deutschen Justiz zu überlassen. Die Opfer und KriegsgegnerInnen hatten die deutsche Blut-und-Boden-Ideologie als wichtige Grundlage für die Grausamkeiten ausgemacht und deshalb einen deutschen Nationalstaat als künftig immer wiederkehrende Gefahr erkannt. Diese Erkenntnis ging jedoch im Laufe des Kalten Krieges verloren.

Der heutige 3. Oktober symbolisiert ein Ereignis, das neben dem Sieg über den Warschauer Pakt auch für die Demaskierung der scheinbar harmlos und liberal gewordenen deutschen Nation steht. Die so genannte deutsche „Wiedervereinigung“, also die deutliche Vergrößerung des deutschen Staatsgebiets und der folgende weitgehende Abzug der alliierten Truppen, brachte ein neues Selbstbewusstsein mit sich, das sich durch blutige Pogrome äußerte. Der deutsche Mob machte in allen Teilen des wieder erstarkten Deutschlands Jagd auf nicht-Deutsche. Den Todesdrohungen folgten Taten und Dutzende wurden ermordet, hunderte schwer verletzt.

Neben dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und vielen anderen Angriffen haben sich dieses Jahr auch die pogromartigen Angriffe auf eine AsylbewerberInnenunterkunft im Mannheimer Stadtteil Schönau zum 15. Mal gejährt. Mehr als eine Woche lang sammelten sich dort bewaffnete MannheimerInnen vor der ehemaligen Gendarmeriekaserne und es roch auch hier nach Mord und Totschlag. Organisierte Nazis brauchte es in Mannheim-Schönau nicht. Die deutsche Ideologie hatte sich in der Mitte der Gesellschaft etabliert und kam in Form des Normalbürgers zum Ausbruch, der nach Gewalt gegen alles Fremde gierte.

Wie bei anderen Pogromen bezogen Politik, Justiz, Polizei und Medien eindeutig Stellung: Der damalige Oberbürgermeister Gerhard Widder äußerte Verständnis für die Wut auf nicht-Deutsche und bat die von ihm als „liebe Mitbürger“ Angesprochenen nur, im Sinne der Ordnung dennoch zu Hause zu bleiben. Die Polizei tat so wenig wie möglich. Sie schützte das attackierte Haus vor einem Sturm durch den Mob, der wohl mit einem Massaker geendet hätte; vor laufenden Kameras hatten Widders „liebe Mitbürger“ wörtlich angekündigt „die Neger zu schlachten.“ Strafverfolgung gegen die GewalttäterInnen gab es in keinem einzigen Fall.

Der Mannheimer Morgen unterstützte die widerwärtigen Vorgänge propagandistisch und untermauerte mit seiner Monopolstellung in Mannheim die Linie des Bürgermeisters. Das galt natürlich auch, als sich Polizei und Bürgermeister entschlossen, antirassistische Demonstrationen in Mannheim zu verbieten und mit äußerst brutaler Gewalt aufzulösen. Die Friedfertigkeit, die die Polizei gegenüber den RassistInnen in Schönau gezeigt hatte, war verschwunden. PolizistInnen knüppelten in den Planken auf am Boden liegende DemonstrantInnen ein, Bilder von schwerverletzten Opfern waren selbst im Mannheimer Morgen zu sehen. Als Bilanz der Schönauer Pogromstimmung lässt sich festhalten: Die AsylbewerberInnenunterkunft wurde wie vom gewalttätigen Mob gefordert von angeblich gefährlichen alleinstehenden Männern gesäubert, während der antirassistische Protest mit exzessiver Polizeigewalt und juristischer Repression niedergeschlagen wurde.

Dass diese Ereignisse und der skandalöse Zusammenhalt zwischen rassistischen Schlägern, offiziellen Stellen und Medien nie öffentlich diskutiert wurden, ist weder Zufall noch Einzelfall. In ganz Deutschland kam es nach der „Wiedervereinigung“ zeitweise täglich zu brutalen Übergriffen gegen MigrantInnen und die Konsequenz, die die Politik daraus zog, war die de-facto-Abschaffung des Asylrechts. Eine nach wie vor spürbare Stärkung rechtsextremer Strukturen, die sich in zum Normalfall gewordenen Gewaltakten und No-Go-Areas für nicht-Deutsche äußert, wurde und wird mit dieser Politik hingenommen und befördert.

Die rassistische Gewalt ist die Folge des Wiedererstarkens des deutschen Nationalismus, für den der 3. Oktober steht. Mit dem ideologisch gestärkten Rückhalt in der deutschen Bevölkerung konnte Deutschland sich endlich auch außenpolitisch wieder Großmachtsträumen hingeben. Kriege zur Verteidigung deutscher Interessen sind inzwischen Normalität; die gesetzlich verankerte Rede von der Bundeswehr als Verteidigungsarmee musste wie so manche Bürgerrechte hinter den deutschen Interessen zurücktreten.

Die Entwicklung seit dem 3. Oktober 1990 zeigt bis heute: Standortpatriotismus, aggressive Außenpolitik, Nationalstaat, rassistische Gewalt und Kapitalismus gehören zusammen. Wir sind deshalb nicht nur gegen eine dieser Widerwärtigkeiten, sondern sprechen uns gegen die Ideologie aus, die dies alles ermöglicht. Wir geben uns als Radikale Linke nicht damit zufrieden, die barbarischen Ausuferungen des Kapitalismus einzudämmen. Wir bekämpfen nicht die Symptome, sondern die Ursachen, und wir wehren uns gegen die Gewalt, die von deutscher Ideologie und Kapitalismus Tag für Tag ausgehen.

Kein Frieden mit Deutschland!

AK Antifa Mannheim, Oktober 2007

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