Spektakuläre Transparentaktionen am Kölner Hauptbahnhof und Brandenburger Tor, Blockade der CDU-Parteizentrale in Berlin, Niederschreien von Politiker*innen, symbolischer Grenzzaunbau… neurechte Bewegungen entfalten seit einigen Monaten eine enorme Aktivität, die es vielerorts in die Öffentlichkeit schafft. Dahinter stehen Gruppen und Organisationen, wie z. B. die „Identitäre Bewegung“ oder „Ein Prozent“. Bewusst wird auf die bekannten Klischees der rechten Szene verzichtet, die in den vergangenen Jahrzehnten von NPD, Kameradschaften und Skinheads geprägt wurden. Vielmehr werden Bilder von intellektuellen, bürgerlichen und nicht politisch vorgeprägten Aktivisten gezeichnet. Auch in Mannheim und der Rhein-Neckar-Region bemühen sich die neuen Rechten darum, ihre Netzwerke auszubauen.
Identitäre in der Rhein-Neckar-Region
In der Rhein-Neckar-Region fallen die Organisierungsversuche der neuen Rechten vergleichsweise schwach aus. In den östlichen Bundesländer, aber auch in Teilen Bayerns und Baden-Württembergs haben Ortsgruppen der „Identitären Bewegung“ stärkeren Zulauf. Doch auch bei uns bemühen sich AktivistInnen um Vernetzung.
Bereits 2012 gab es Versuche, die aus Frankreich stammenden Strategien des „Bloc identitaire“ zu übernehmen. Damals waren es Neonazis aus freien Kameradschaften, die als „Identitäre“ versucht haben, neue Aktionsformen zu entwickeln – mit mäßigem Erfolg. Während in Frankreich spektakuläre Aktionen gegen die angebliche „Islamisierung“ gelangen und dem Front National neue Wählergruppen eröffneten, gab es in Deutschland wenig Aufmerksamkeit und die NPD konnte nicht von der „Identitären Bewegung“ profitieren. Einzig der Erfolg der Band „Frei.Wild“ ließ einen Ausblick auf das Potential identitätsstiftender Heimatrockmusik mit ethnopluralisitischer Welterklärung zu. Nicht umsonst wurde die aus Südtirol in Italien stammende Gruppe stets als Deutschrockband bezeichnet.
2013 kursierte eine Einladung zu einem Treffen für eine Identitäre Gruppe Rhein-Neckar. Dahinter steckten rechte Aktivisten, die politisch mit der NPD liebäugelten. Die Ortsgruppe kam nie zustande, Aktionen gab es keine. Einziger „Vorfall“ aus dem Spektrum der „Identitären“ war der Diebstahl einer Fahne vom Dach des JUZ Friedrich Dürr – allerdings waren die Rechten dazu nach eigener Aussage extra aus dem Raum Frankfurt angereist.
Die „Identitäre Bewegung Baden“ betreibt eine Facebook-Seite und berichtet über lokale und überregionale Aktionen. In den letzten Monaten gab es immer wieder Berichte über kleinere Aktionen, wie das Kleben von Plakaten und Aufklebern oder das Aufhängen eines Transparents im öffentlichen Raum. Zudem wurde zu Stammtischen in Heidelberg, Weinheim und Mannheim eingeladen. In Mannheim hatten sie sich das „Spiegelschlössel“, eine einfache Kneipe auf dem Luzenberg, ausgesucht, wo schon Rüdiger Klos seinen AfD-Wahlerfolg feierte. Feste Strukturen haben die Identitären in der Rhein-Neckar-Region noch nicht aufbauen können, Versuche dazu werden aber weiterhin unternommen.
Burschenschaft und Bürgerwehr
Die intellektuellen Köpfe der neuen Rechten sind nicht selten in Burschenschaften und schlagenden Verbindungen organisiert, von denen es in Mannheim und Heidelberg einige gibt. Die breite Masse ist jedoch meist einfacher gestrickt: In Mannheim und Ludwigshafen konnten Hooligans zum Thema „Islamisierung“ viele Anhänger*innen mobilisieren. Unter Labels wie „Hogesa“, „Gemeinsam-Stark“ oder „Berserker“ fanden sich große Gruppen gewalttätiger Männer zusammen, um gegen Muslime in Deutschland zu agitieren. Am Rande einer Veranstaltung des salafistischen Predigers Pierre Vogel randalierten hunderte Hooligans aus verschiedenen Städten in der Innenstadt. Es kam zu weiteren Zusammenkünften in Mannheim und Ludwigshafen sowie zu Gründungsversuchen sogenannter „Bürgerwehren“, die inhaltlich den Positionen der „Identitären Bewegung“ und der AfD sehr ähnlich sind. Diese traten jedoch wenig professionell auf und waren personell eng mit der Hooligan- und Nazi-Szene verbunden. Einige Bürgerwehren blieben reine Facebook-Phänomene, andere trafen sich einige Male und liefen in Gruppen von 10 bis 15 Personen durch die Innenstadt. In Ludwigshafen ist die Initiative „Lubewa“ („Ludwigshafen bewegt was“) mit der rechten Szene und den Parteien NPD und „Der III. Weg“ verbunden.
Die „Mannheimer Alternative“ als Teil des „Ein Prozent“-Netzwerks
Während die NPD in Mannheim in den letzten Jahren zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versank, folgte die AfD auch hier dem bundesweiten Trend und zog in die Parlamente ein. Gestärkt von den Wahlerfolgen fühlen sich die Partei wie auch die außerparlamentarisch orientierten neuen Rechten im Aufwind. Die Initiative „Ein Prozent“ versucht für letztere ein bundesweites Netzwerk zu spinnen. Ihr Motto: Es reiche aus, ein Prozent der Bevölkerung für ihre Sache zu gewinnen, um das politische Ruder herum zu reißen. Damit wird den Beteiligten suggeriert, dass deren meist kleine Aktionen im Verhältnis doch nicht so unbedeutend seien.
In Speyer kamen nach dem Terroranschlag in Berlin etwa 15 AktivistInnen des „Bürgerforum Rhein-Neckar“ zusammen. Sie marschierten mit Fackeln über den Weihnachtsmarkt und trugen die Innere Sicherheit symbolisch zu Grabe. Anschließend wurde ein Youtube-Video von der Aktion ins Netz gestellt. In Germersheim verkleideten sich Mitglieder des Bürgerforums mit Burkas und verteilten auf dem Marktplatz im Stil der salafistischen Szene Schriften, allerdings mit dem Grundgesetz der BRD. Als Bild sollte vermittelt werden, der Islam passe nicht zu Deutschland. Ein wohlwollender Artikel in den lokalen Medien zeigte den Erfolg der rechtspopulistischen Aktion.
In Mannheim finden solche Aktionen bisher nicht statt. Doch Potential scheint dafür vorhanden zu sein. Die „Mannheimer Alternative“ wird als lokale Gruppe des „Ein Prozent“-Netzwerks auf deren Webseite genannt. Hierbei handelt es sich um das Projekt des Mitbegründers des Mannheimer AfD-Kreisverbandes Dr. Walter Kirchgessner. Auf der Webseite der „Mannheimer Alternative“ ist zu lesen, man sei „kein Organ der AfD“. Vielmehr versteht sich das Projekt als „Forum“, quasi als Ideengeber und nationalistische Plattform von und für AfD-Mitglieder, denen manche Positionen ihrer Partei zu lasch sind. Es wird sich an der „Patriotischen Plattform“ in der AfD orientiert. Die „Mannheimer Alternative“ formuliert dies in ihren Leitsätzen folgendermaßen: „Innerhalb der Alternative für Deutschland setzt sich das Forum Mannheimer Alternative insbesondere dafür ein, scharfkantigen kultur-konservativen, patriotischen und werteorientierten Positionen Gehör zu verschaffen.“ Dr. Walter Kirchgessner ist Lehrer am „KGRM“ (Kurpfalz-Gymnasium und Realschule Mannheim) – einer Privatschule für Kinder mit wohlhabenden Eltern. Es fällt auf, dass der Mann hinter der „Mannheimer Alternative“ im AfD-Kreisverband keine Funktion mehr ausübt und auch mit keinem Mandat in einem lokalen Parlament vertreten ist. Der einstige Sprecher des Kreisverbandes und Interviewpartner des Mannheimer Morgen tritt nicht mehr öffentlich für die AfD auf. Der Mitbegründer scheint in dem heute von Robert Schmidt und Claus Nielsen geführten Kreisverband keine bedeutende Rolle mehr spielen zu dürfen.
Im Netz nichts neues: Islamhass und Wut auf „die Etablierten“
Die Erfolge der AfD sind nicht ohne die Bedeutung der modernen Medien zu erklären. Rechtspopulistische Online-News-Seiten gibt es für Mannheim schon seit vielen Jahren. Ein Vorreiter war der mittlerweile eingestellte Blog „Schoggo-tv“ von Wilhelm Entenmann, der gegen Multi-Kulti, den Islam und insbesondere die Grünen agitiert hatte. Mittlerweile ist Entenmann nur noch in den Kommentarspalten des Mannheimer Morgen oder bei Facebook zu finden. Der Blog „PI-News“ ist seit langem ein Sammelbecken für IslamhasserInnen und Sprachrohr der einst für RechtspopulistInnen bedeutenden Partei „Die Freiheit“. PI steht für „politically incorrect“. Um 2012 hatte sich eine Rhein-Neckar-Gruppe des Blogs gegründet und einige Artikel mit lokalem Bezug veröffentlicht. Ein Auftritt von Thilo Sarrazin im Rosengarten gab den Auftakt. Es folgte eine Anti-Islam Kundgebung auf dem Paradeplatz. Nach antifaschistischen Aktionen zogen sich die InitiatorInnen jedoch aus der Öffentlichkeit zurück und liefen teilweise zur AfD über, so zum Beispiel Eva Kahlmann die im Landesvorstand von „Die Freiheit“ war und später den AfD-Kreisverband Rhein-Neckar mitgründete.
Mittlerweile ist Facebook zum wichtigsten Medium für rechtspopulistische Propaganda geworden. Gespeist von zahllosen rechten Blogs, verschwörungstheoretischen Seiten, Grafiken, Bildmontagen und Fake-News bietet Facebook der rechten Szene die Möglichkeit, über ihr eigenes Klientel hinaus zu wirken. Die Meldung, dass ein Supermarkt in der Nähe der Spinelli Kaserne wegen der Flüchtlinge schließen müsse, verbreitete sich schnell. Auch wenn sich die Meldung später als falsch herausstellte, blieben doch die Schlagzeile und die rassistischen Kommentare der Nutzer*innen im Kopf hängen.
Eine besondere Rolle für die rechte Szene spielt der „Rheinneckarblog“. Während von AfD bis Pegida alle Rechten auf die etablierten Medien schimpfen und sie als „Lügenpresse“ diffamieren, merken sie doch, dass sie ganz ohne nicht auskommen. Eine willkommene lokale Alternative stellt der „Rheinneckarblog“ dar. Zwar ohne politisches Bekenntnis des Chefredakteurs Hardy Prothmann bietet der Nachrichtenblog doch einige Möglichkeiten für die rechte Szene. Themenschwerpunkte wie Flüchtlinge, Demonstrationen oder Sicherheitspolitik passen auch deshalb so gut, da Prothmann einen persönlichen Kleinkrieg gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber „Mannheimer Morgen“ und gegen die linke Szene führt. Dass das Wählerpotential der AfD beim „Rheinneckarblog“ landet, weiß auch der Kreisverband und schaltet deshalb große Werbeanzeigen. Darauf folgen Exklusivberichte von AfD-Veranstaltungen und Exklusivinterviews mit rechten Politiker*innen, die nicht mit der „Lügenpresse“, wohl aber mit dem „Rheinneckarblog“ sprechen. Eine win-win-Situation für beide Seiten. Die Kooperation mit der rechten Szene führt sogar soweit, dass AfD-Mitglieder Videobeiträge anfertigen und dem „Rheinneckarblog“ zur Verfügung stellen. Solange es gegen den gemeinsamen Feind – Antifaschist*innen, Antirassist*innen und Politiker*innen von SPD, Grünen und Linken – geht, scheint jedes Mittel recht und journalistische Grundsätze werden über Bord geworfen.
Die weiteren Erfolge der rechten Szene, vor allem auch der außerparlamentarisch orientierten, werden maßgeblich vom guten Funktionieren der Propaganda in den modernen Medien abhängen. Die Normalisierung rechten Sprachgebrauchs im Alltag, in Facebook-Kommentaren oder bei AfD-Veranstaltungen, hat bereits zu einer Verschiebung geführt. Und mehr noch: Während 2013 in Mannheim noch kontrovers über ein Konzert der rechten Band Frei.Wild in der Alten Seilerei diskutiert wurde, regt sich 2016 keiner mehr öffentlich darüber auf, dass die Band erneut in Mannheim auftritt und zwar in der Maimarkthalle vor zehnmal so vielen Fans. Erste Anzeichen für einen gesellschaftlichen Rechtsruck sind deutlich erkennbar.
Die Normalisierung rechter Ideologie und Rassismus im Alltag ist das aktuelle Problem und dagegen gilt es zu kämpfen.