Redebeitrag zum Gedenken an die Lechleiter-Gruppe 2016
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben uns auch in diesem Jahr wieder hier am Lechleiterplatz versammelt, um den von den Nazis ermordeten Genossinnen und Genossen zu gedenken.
Der Widerstand der AntifaschistInnen um Georg Lechleiter gegen den alltäglichen Terror des Nationalsozialismus ist für uns auch heute noch ein leuchtendes Vorbild. So schwer für uns die Bedingungen des Kampfes der Lechleitergruppe auch nachzuvollziehen sind, eines steht fest: Die Widerstandsgruppe stand für einen konsequenten Antifaschismus aus tiefster Überzeugung und unter widrigsten Bedingungen. Trotz Verboten, Bespitzelungen, Einschüchterungen und Denunziationen brachten sie ihre Zeitung heraus und planten Aktionen gegen den Faschismus, dessen Gefahr sie schon früh erkannt hatten. Die Perspektive der AntifaschistInnen war schon in der Zeit der Weimarer Republik auf eine fundamentale gesellschaftliche Umwälzung, hin zu einer befreiten Gesellschaft gerichtet. SozialdemokratInnen, SozialistInnen, KommunistInnen und andere schlossen sich zusammen und auch wenn sie in vielen Fragen der Gesellschaftskritik unterschiedliche Auffassungen hatten, so war der gemeinsame Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, Aufrüstung, Ausbeutung und Unterdrückung doch das verbindende Element. An vielen anderen Orten hat es nicht geklappt und die Spaltung der Nazi-Gegnerschaft führte zu einer Schwächung des Widerstands. Daraus müssen wir lernen und wir haben gelernt. In Mannheim stehen wir heute zusammen gegen Nazis und RassistInnen. Wir haben uns im Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ zusammen geschlossen. Wir respektieren unsere politischen Unterschiede und Aktionsformen und orientieren uns am gemeinsamen Ziel: Den rechten Vormarsch zu stoppen.
So ist es auch möglich, in einer solidarischen Kritik immer wieder darauf hin zu weisen, dass der Kampf gegen Faschismus nur erfolgreich sein wird, wenn wir es schaffen, gegen die tief im Kopf steckenden Wurzeln des menschenfeindlichen Denkens anzugehen. Es ist kein Geheimnis, dass in vielen bürgerlichen, gewerkschaftlichen und sogar linken Organisationen und Parteien rassistische und faschistoide Ideen bei einem Teil der Mitglieder populär sind. Nahezu alle großen Organisationen haben, sozusagen als Abbild der Gesellschaft, das rechte Problem in ihren eigenen Reihen. Daher wollen wir auch bei einer Veranstaltung wie der heutigen appellieren: Positioniert euch eindeutig gegen rechts, lasst rassistischen und antisemitischen Parolen keinen Spielraum. Widersprecht den populistischen Aussagen zur Flüchtlingspolitik von Gabriel, Wagenknecht und anderen, die sich von den rechten Hetzern treiben lassen!
Das Erstarken der AfD war sicherlich für uns AntifaschistInnen das wichtigste Thema der letzten Monate. Die fast schon tot geglaubte Partei, die sich mehrmals gespalteten hatte und beinahe in der Versenkung verschwunden war, erfuhr einen beispiellosen Aufwind und strotzt vor Selbstbewusstsein – bundesweit, in Baden-Württemberg und auch in Mannheim. Aktuell finden eine ganze Reihe von AfD-Veranstaltungen im ganzen Stadtgebiet statt.
Diese bleiben nicht unwidersprochen. Im Januar haben wir die große Wahlkampfveranstaltung mit Frauke Petry im Schützenhaus Feudenheim nicht nur kritisch begleitet. Wir haben auch den Teilnehmern am Einlass deutlich gezeigt, dass wir von ihren Parolen nichts halten. Auch weitere, kleinere und größere Veranstaltungen der AfD wurden von Protest auf allen Ebenen begleitet. Es konnten Wirte davon überzeugt werden, der AfD keine Räume zu überlassen, es fanden Kundgebungen vor den Veranstaltungen statt, es wurde aufgeklärt, mit den Menschen gesprochen, Briefe geschrieben, Flugblätter verteilt und einzelne AfD Funktionäre direkt und persönlich angegangen. Doch der Gegner ist mittlerweile groß. Die AfD ist keine isolierte, stigmatisierte Splitterpartei wie die NPD, gegen die wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich waren und die zur Zeit des Verbotsverfahrens kaum mehr eine Rolle spielt. Die AfD dagegen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ihre Funktionäre sind bekannte Persönlichkeiten, nicht selten finden sich darunter Unternehmer, Anwälte, Polizisten und gesellschaftlich etablierte Leute. Viele der bewährten Antifa-Aktionen greifen nicht mehr. Wir stehen vor einer großen Aufgabe, wenn wir die AfD zurück drängen wollen.
Dabei müssen wir uns eine viel grundsätzlichere Frage stellen: Erleben wir zur Zeit einen Rechtsruck?
Aus den Umfragen der letzten Jahre, darunter vor allen den Mitte-Studien und den aktuellen Wahlforschungen wissen wir, dass ein relevanter Teil der Gesellschaft sogenannte rechtsextreme Denkmuster verfolgt. Es werden, je nach Deutung und Umfrage, zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung genannt, die ausländerfeindliche, antisemitische und andere als rechtsextremistisch bezeichnete Denkmuster aufweisen. Die Zahl ist in den letzten Jahren konstant geblieben. Neu ist, dass es jetzt eine Partei gibt, die bei den Wahlen alle diese Personen wie ein Schwamm aufsaugt. Wir sehen es an den Ergebnissen: 10-20 Prozent, je nach Region, es scheint dieser Teil der Bevölkerung zu sein, der konsequent die AfD wählt.
Die AfD schafft das, was NPD, Dritter Weg, Republikaner, Freiheit, Pro Deutschland und die anderen rechten Kleinparteien in den letzten Jahren nicht geschafft haben. Sie vereinen die rechte und konservative Szene über alle Gräben hinweg und gewinnen dadurch an Geld, Macht und politischen Einfluss. Wenn in den Umfragen zwar noch kein gesellschaftlicher Rechtsruck nachgewiesen werden kann, so besteht doch unmittelbar die Gefahr, einen solchen Rechtsruck in Kürze zu erleben. Die ersten Anzeichen sind bereits sichtbar: Die bürgerlichen Parteien, vor allem SPD und CDU rücken nach rechts, werden von den populistischen Parolen der CSU getrieben. Die bereits erwähnten Ausfälle von von Politikern der SPD und Linken bleiben leider auch nicht aus. Beim alles bestimmenden Thema Asylpolitik greifen die ersten Gesetzesinitiativen: Die Rahmenbedingungen werden verschärft, neue Restriktionen gegen Geflüchtete erlassen, alte wieder eingeführt. Abschiebungen werden vermehrt durchgeführt und hier wird es beispielsweise deutlich, wie sich ein gesellschaftlicher Rechtsruck andeutet: Die menschenverachtenden Abschiebungen, die von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen kritisiert werden, bei denen mitten in der Nacht Polizisten Familien aus dem Schlaf reißen, in Flugzeuge verfrachten und ohne jegliche Perspektive in eine ungewisse, gefährliche Zukunft verbringen, werden auf einmal von politisch Verantwortlichen nicht mehr verharmlost und verheimlicht, sondern als Erfolge verkauft. Die Innenminister aller Parteien rühmen sich damit, bei den Abschiebungen voran zu kommen und hoffen auf Applaus aus der rechten Ecke.
An dieser Stelle möchten wir auf die Demonstration „Solidarity 4 ALL! Gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung!“ am 1. Oktober in Heidelberg hinweisen. Die Demo richtet sich gegen das „Modellprojekt Heidelberg“ im Patrick-Henry-Village, das von der Landesregierung als „Zukunft der Asylpolitik“ angepriesen wird, aber mit vielen Verschärfungen des Asylrechts und massiven Verschlechterungen der Bedingungen der dort lebenden Menschen verbunden ist.
Bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Rechtsruck müssen wir auch über die Grenzen hinweg sehen. In einer global vernetzten Welt spielen sich politische Entwicklungen nicht nur innerhalb eines Nationalstaats ab. In Europa müssen wir an vielen Orten Rechtsentwicklungen feststellen: Die Regierung in Ungarn, das Erstarken des Front National, die Präsidentenwahlen in Österreich, der Brexit, den ein konservatives, in der Vergangenheit lebendes Milieu zu verantworten hat. Grenzen dicht, Fremde nicht willkommen, alte Werte, religiöse und kulturelle Identität bewahren… das sind Parolen, die vielerorts zur Zeit besser ankommen, als offene Grenzen, Solidarität und Bereitschaft zu Veränderungen. Es scheint die große Zeit der Populisten zu sein: Orban, Le Pen, Wilders, Hofer, aber auch solche Personen wie Putin, Trump und Erdogan feiern Erfolge. Machos, die autoritäre Staaten regieren, reaktionäre Werte hoch halten und sich nach außen abschotten. Klar, in einigen Ländern gibt es auch andere Entwicklungen, aber wenn wir uns die internationale Politik anschauen, müssen wir feststellen, dass es linke Initiativen überall sehr schwer haben.
Für uns bleibt die bittere Erkenntnis: Politischer Protest äußert sich vielerorts, gerade auch aktuell in Deutschland, nicht emanzipatorisch und humanistisch, sondern rechts und populistisch. Es ist eben einfacher nach unten, als nach oben zu treten.
Die oft zitierten Wurzeln des Faschismus sollten unser Ansatzpunkt sein. Die Aufspaltung der Menschen nach Nationalität, Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sozialer Stellung ist die Grundlage rechter Ideologie. Sich selbst einer solchen Gruppe zugehörig zu fühlen und von den anderen abzugrenzen, das ist der Ausgangspunkt zur Spaltung der Gesellschaft.
In diesem Sinne ist uns die Lechleitergruppe ein Vorbild und ihr Kampf Ansporn und Verpflichtung, auch heute gegen Nazis und Rassismus aktiv zu werden. Das jährliche Lechleitergedenken am 15. September ist für uns immer wieder eine Motivation, unseren Kampf weiter fort zu führen, aktuelle Themen zu bearbeiten und Konflikte zu suchen. Doch möchten wir auch nicht unerwähnt lassen, dass in diesem Jahr etwas anders ist. Wir vermissen unsere Freundin und Genossin Elke, mit der wir viele Jahre gemeinsam antifaschistische Veranstaltungen geplant haben. Als Kreisvorsitzende der VVN-BdA war sie in den antifaschistischen Bündnissen aktiv und hat stets den Kontakt zur jüngeren Generation gesucht. Dank vieler Berichte und Erzählungen von ihr konnten wir uns ein Bild von den antifaschistischen Kämpfen machen, die sich vor unserer Zeit abgespielt haben. Im Mai ist Elke für uns sehr überraschend gestorben. Wir werden sie bei unseren zukünftigen Aktionen vermissen.
Wir beenden unsere Rede heute wieder mit dem Schwur von Buchenwald, der zu dieser Veranstaltung so gut passt und die Verbindung von Vergangenheit und Zukunft so klar ausdrückt. Damit sagen wir den Nazis auch heute wieder den Kampf an, auf allen Ebenen und mit allen erforderlichen Mittel.
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“
AK Antifa Mannheim, September 2016