Redebeitrag zur Gedenkkundgebung an den Widerstand der Lechleitergruppe im Nationalsozialismus

Verehrte Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Wir haben uns heute hier versammelt, um Georg Lechleiter und seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gedenken.
Für junge Antifaschistinnen und Antifaschisten wie uns, ist das Beispiel ihres Kampfes gegen den alltäglichen Terror des Nationalsozialismus leuchtendes Vorbild.
So schwer für uns die Gefahren vorstellbar sind, die sie auf sich nahmen, so sehr beeindruckt uns ihr Mut und die Konsequenz, mit der sie ihren Überzeugungen folgten.

In den letzten Jahren sind Oberst Graf von Stauffenberg und seine Mitverschwörer im Rahmen des herrschenden Geschichtsdiskurses zu den zentralen Identifikationsfiguren des Widerstandes gegen den Deutschen Faschismus aufgebaut worden.
Ihr viel gerühmter Bombenanschlag vom 20. Juli 1944 ist einer der zentralen positiven Bezüge im Selbst- und Geschichtsbild der so genannten „Berliner Republik“ geworden.
Dass es sich bei den Attentätern um eine elitäre Offiziersclique handelte, deren Mitglieder in der Mehrzahl überzeugte Nationalsozialisten, Antisemiten und Rassisten waren,
dass ihnen für die Zeit nach dem Nationalsozialismus keineswegs eine befreite Gesellschaft oder auch nur eine bürgerliche Demokratie vorschwebte, sondern ein modifizierter Nationalsozialismus, wird dabei gern verschwiegen.

Uns kommt das kalte Grausen, wenn wir sehen wie wenig Aufmerksamkeit im Vergleich dazu solchen Widerstandskämpfern wie denen der Lechleiter-Gruppe zukommt.
Sie sind es, denen in unseren Augen ohne Zweifel die Vorbildrolle zukommen sollte.
Es waren in der Mehrzahl Kommunisten und Sozialdemokraten, wie die Mitglieder der Lechleiter-Gruppe, die dem Terror der Nazis entschlossenen und aktiven Widerstand entgegensetzten.
Sie begannen, im Gegensatz zur erzreaktionären Stauffenberg-Clique, nicht erst dann und deshalb zu opponieren, als und weil sich die militärische Niederlage abzuzeichnen begann.

Der Umsturz war in den Augen der Lechleiter-Gruppe nicht deshalb nötig, weil die Führungsriege des nationalsozialistischen Deutschlands militärstrategische Fehler machte, sondern weil sie im Nationalsozialismus das erkannten, was er war:
Eine durch und durch menschenverachtende Gesellschaftsordnung.

Ihre Perspektive als Kommunistinnen und Kommunisten war schon in der Zeit der Weimarer Republik auf eine fundamentale gesellschaftliche Umwälzung hin zu einer befreiten Gesellschaft gerichtet.
Deshalb war es für sie, im Gegensatz zu den meisten anderen Deutschen, denk- und machbar aktiven Widerstand zu leisten.
Genau deshalb aber, gehen sie im aktuellen Geschichtsdiskurs der „Berliner Republik“ so dreist, so unverhältnismäßig, so unverschämt, so beleidigend unter.

Wenn in Deutschland nach 1945 über den Nationalsozialismus geredet wurde, so ging es in der Hauptsache um eines:
Es musste eine Lesart des Unbegreiflichen, das vollbracht worden war, gefunden werden, die es erlaubte weiterzumachen.
Weiterzumachen mit dem, was nach unserer Auffassung niemals hätte weitergehen dürfen:
Das Projekt Deutsche Nation.
Weil der Nationalsozialismus kein Unfall und auch kein Zufall war, müssen all diejenigen, die das politische Projekt Deutsche Nation retten wollen, das Mitmachen und das Wegschauen fast aller Deutschen rechtfertigen.

Die Stauffenberg-Clique kommt da gerade recht. Das Bild das von Stauffenberg vermittelt wird, ist ein Symbol. Er soll stellvertretend für alle Deutschen stehen, den Durchschnittsdeutschen symbolisieren. In gutem Glauben schuldlos verstrickt gelangt er zu spät zur Einsicht in den verbrecherischen Charakter des Systems, um das Ruder noch herumzureißen zu können. Doch immerhin: Er gibt sein bestes. Letzten Endes wird er selbst zum Opfer.

Da lügt sich eine Nation ganz offensichtlich schamlos ihre verbrecherische Vergangenheit zu Recht. Statt Angriffskrieg und Holocaust sei einfach alles ein einziges großes Unglück gewesen, heißt es da.
Das Erinnern an Widerstandsgruppen wie die um Georg Lechleiter dagegen fordert die Auseinandersetzung mit den Teilen der Vergangenheit, die auch für das Tagesgeschäft der Nation schnell unbequem werden.

Dass die meisten, die aktiv dagegen hielten, eben keine „ordentlichen Deutschen“ waren, sondern Kommunisten, die von eben diesen „ordentlichen Deutschen“ gehasst wurden.

Dass von Anfang an für jeden wachen Geist zu erkennen war, was der Kern des nationalsozialistischen Projekts war, und dass es zum Widerstand leisten keineswegs notwendig war sich an einer riesigen Verschwörung zu beteiligen, sondern dass es auch aus kleinen Gruppen aus dem Alltag heraus möglich war.

Es kann uns zeigen, dass wenn nicht Widerstand, so wenigstens partielle, individuelle Verweigerung oder minimale Sabotage für die meisten möglich gewesen wäre.

Dass die bürgerliche Demokratie eben nur wenige Demokraten hervorbringt, die bereit sind, sie zu verteidigen; dass sie dafür aber die Gefahr in sich trägt, in die Barbarei umzuschlagen.

Dass das einzige, was uns vor dieser Barbarei dauerhaft schützen kann, eine Gesellschaftsordnung ist, die auf aktiver Partizipation aller, am gesellschaftlichen und politischen Leben beruht.

Dass diese Gesellschaft notwendigerweise auf kollektiver Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums und auf freier Assoziation der Individuen beruhen muss.

Auch wenn die Vorstellung von Befreiung, welche Menschen wie Georg Lechleiter hatten, sicher nicht genau dieselbe ist wie die unsere, so mahnt uns ihr Beispiel:
Der Kampf gegen Faschismus macht nur Sinn, wenn er gleichzeitig auch ein Kampf gegen seine Wurzeln ist.
In diesem Sinne: Gegen die Nation. Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft.

Ak Antifa Mannheim im September 2005.

Seite drucken Seite drucken