Aufruf zur Demo am 7. April „Mit Deutschland endgültig brechen“ und zu den Aktionen gegen den Naziaufmarsch

 

Nicht verdrängen. Nicht verleugnen. Nicht verwerten.
Mit Deutschland endgültig brechen

Am 8ten April will das „AB Rhein Neckar“ einen Aufmarsch in Mannheim durchführen, zu dem Nazis aus der gesamten Bundesrepublik mobilisiert werden sollen. Anlass ist der Prozess gegen den international bekannten Holocaustleugner Ernst Zündel in Mannheim. Für uns als AntifaschistInnen ist es selbstverständlich, dem unseren entschlossenen und erbitterten Widerstand entgegenzustellen. In einer Situation jedoch, in der der „Aufstand der Anständigen“ immer wieder und selbstverständlich zum Repertoire der bürgerlichen Mitte gehört, und die offensive Abgrenzung von Nazis Teil des nationalen Selbstverständnisses ist, darf unser Widerstand gegen Nazis und ihre Ideologie nicht alleine stehen. Wir verweigern uns der Mitarbeit am ideologischen Projekt der „Berliner Republik“ die sich gerne als „geläutert“ und „antifaschistisch“ präsentiert. Das Verdrängen der nationalsozialistischen Vergangenheit, ihrer barbarischen Dimensionen und des Mitmachens und Wegschauens praktisch aller Deutscher, hat seit dem Ende des NS den Umgang der überwiegenden Mehrheit der Deutschen Bevölkerung mit dieser Vergangenheit gekennzeichnet. Die individuellen und kollektiven Reflexe zur Abwehr und Verdrängung der Schuld sind seither in unterschiedliche politische Lesarten der Geschichte übersetzt worden. Die plumpe Leugnung des Holocaust durch NS-Spinner wie Zündel ist dabei im Verhältnis zu anderen Formen der Relativierung der Geschichte politisch verhältnismäßig unbedeutend. Dem Zwangskollektiv Nation, und am Vorabend des 8.April besonders jeglicher Verdrehung der Geschichte gilt unser Kampf, in welcher Form auch immer sie daher kommen mögen. Die notwendigen Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen, eine menschliche Gesellschaft, eben eine freie Assoziation freier Individuen zu errichten, ist unsere utopische Minimalforderung.

Ernst Zündel vertritt das Geschichtsbild des größten Teils der Naziszene. Der Holocaust wird von ihnen rundweg geleugnet. Zündel hat zahllose Bücher verlegt in denen mit pseudowissenschaftlichen Methoden und gefälschten Beweisen genau diese Leugnung betrieben wird. Deutschland wird von ihnen plump zum Opfer des zweiten Weltkrieges umgelogen. In altbekannten antisemitischen Verschwörungstheorien wird die Schuld am 2.ten Weltkrieg den Allierten und/oder der „jüdischen Weltverschwörung“ zugeschoben. Wie kaum etwas anderes versperrt das Bewusstsein für die Verbrechen des historischen Nationalsozialismus den Nazis den Weg zu dem von ihnen angestrebten neuen Nationalsozialismus. Das Wissen um seinen barbarischen Charakter diskreditiert das Vorhaben seiner Wiedererichting von vorne herein. Die Reinwaschung des historischen NS von diesem barbarischen Charakter ist deshalb für die Nazis die Grundvoraussetzung für den von ihnen angestrebten neuen NS.

Gesellschaftlich wesentlich wirkmächtiger und deshalb für uns politisch bedeutsamer ist aber der Umgang der bürgerlichen Mitte mit der deutschen Geschichte. Dieser zeichnet sich in den letzten Jahren dadurch aus, dass er die deutsche Schuld am zweiten Weltkrieg und die Singularität des Holocaust betont anerkennt. Helmut Kohl suchte an den SS-Gräbern von Bitburg 1985 noch die direkte Versöhnung mit der NS-Vergangenheit. Die Ehrung der dort begrabenen Mitglieder der SS als „tapfere Soldaten“ sollte unmittelbar das Wüten dieser verbrecherischen Organisation und somit des historischen NS als ganzem relativieren. Die Übernahme der Staatsgeschäfte der Bundesrepublik durch Rot/Grün im Jahre 1998 stellte hier eine historische Zäsur dar. Vor allem Gerhard Schröder und „Joschka“ Fischer brachten in ihre Ämter bedeutendes ideelles Kapital mit ein. Ihr 68er Image erlaubte ihnen in Bezug auf die Deutsche Geschichte ein wesentlich freieres agieren, als dies den Konservativen Regierungen der 80er und 90er Jahre möglich gewesen war. Schröder/Fischer werden immer mit dem studentischen Aufbegehren der Jahre 1968 ff. identifiziert. Diese hatte sich auch gegen die Verdrängung der NS-Vergangenheit in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft gerichtet. In Sachen historischer NS erschienen Schröder/Fischer also von Anfang an über jeden Verdacht erhaben. Ganz anders der konservative Kohl: sein Bitburg-Besuch löste im europäischen Ausland noch einen Aufschrei aus.

Schröder/Fischer haben im Super-Gedenkjahr 2005 in einem wahre Meisterschaft entwickelt: Deutschland als geläuterte und antifaschistische Republik zu inszenieren. Ihr Schuldbekenntnis geschieht ritualisiert und formelhaft, in Reden wird es zumeist in wenigen Sätzen an den Anfang gestellt. Es bleibt aber oberflächlich, weil es das Wegschauen und Mitmachen fast aller Deutscher verschweigt. Im Gegenteil: gleichzeitig mit dem formalen Anerkenntnis von Schuld und Singularität wird ihre faktische Relativierung vollzogen. Die Zivilbevölkerung sei schließlich überall Opfer gewesen, alle hätten doch gelitten, und so weiter und noch plumper. Ohne mit der Wimper zu zucken, werden die Umgekommenen allierter Bombardements mit den maschinell Ermordeten der KZ; werden die Opfer von Hiroshima `45 mit denen von Bagdad `03 gleichgesetzt. Die offiziellen Gedenkfeiern der Stadt Dresden zum 13 Februar 2005 wurden mit einem Plakat beworben, auf dem unter anderem Bagdad, Dresden und Guernica in einer Reihe stehen. Gegenständlich bewundert darf ein solcher Schlag ins Gesicht der Opfer des NS auch am Denkmal am Heidefriedhof in Dresden werden. Dort reihen sich Stelen aneinander, auf denen jeweils der Name einer Stadt steht: Bergen Belsen, Coventry, Oradur sur Glane, Auschwitz und Dresden in einer Reihe. Für qualitative historische Unterschiede ist in dieser universalisierenden und relativierenden Darstellung kein Platz mehr. Deutsche Schuld und Singularität des Holocaust werden so, obwohl formal benannt, faktisch relativiert.

Als „Joschka“ Fischer den Kosovo-Krieg 1999 mit einer historischen Verpflichtung aus dem NS begründete störte sich daran kaum jemand in Deutschland. Die deutsche Vergangenheit wurde kurzerhand auf den Balkan projiziert und somit relativiert, um dann argumentieren zu können, die Bundesrepublik sei aufgrund dieser barbarischen Vergangenheit gezwungen selbiges andernorts zu verhindern. Schloss die NS-Vergangenheit jahrzehntelang eine Beteiligung der Bundesrepublik an Angriffskriegen kategorisch aus, so begründete Fischer mit ihr erstmals einen Angriffskrieg. Während die Geschichte des NS beim Ausbau der weltpolitischen Macht für Kohl noch ein Hindernis war, dass er zu relativieren versuchte, kann dieser Teil der Geschichte seit Rot-Grün benutzt werden, um das neue deutsche Großmachtstreben zu legitimieren. Der historische NS wurde so zum Ideologischen Kapital der neuen Deutschen Großmacht. Auf seiner Grundlage wird eine moralische Legitimation konstruiert, wird die Legende erschaffen, in Sachen Menschenrechten besonders reif und erfahren zu sein. Die Bewältigungsweltmeisterin Bundesrepublik nimmt für sich eine Verpflichtung in Anspruch, Menschenrechte weltweit durchsetzten zu müssen und dabei militärische Mittel anwenden zu dürfen. Eine verlogene scheinmoralische Begründung um wirtschaftliche Interessen weltweit auch militärisch durchsetzten zu können. Wesentlich besser als die konservative Option ermöglicht dieser Weg nicht nur eine Versöhnung mit der Vergangenheit. Nein er verwertet sie für das Projekt einer europäischen Führungsmacht Deutschland.

Für uns gilt: „Es gibt in der Tat nur zwei Möglichkeiten: Eine endgültige Versöhnung mit dieser Vergangenheit oder aber der konstante, d.h. in fortwährender Auseinandersetzung zu vollziehende Bruch mit ihr.“ Während die Nazis gerne an den historischen NS anknüpfen möchten, hat die bürgerliche Mitte lange um eine Versöhnung mit dem Nationalsozialismus gerungen. Ihr Projekt einer europäischen Führungsmacht Deutschland hat mit den geschichtspolitischen Neuerungen von Rot/Grün ideologisch einen starken Auftrieb bekommen. Wie sich die Geschichtspolitik der großen Koalition entwickelt ist noch nicht abzusehen. Wir jedenfalls verweigern uns jeder Versöhnung mit deutscher Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Der konsequente und konstante Bruch mit der Geschichte des Nationalsozialismus muss notwendig ein Bruch mit seinen gesellschaftlichen und ideologischen Grundlagen sein. Wir treten ein für ein Ende der Herrschaft von Ware und Wert und die Abschaffung des Zwangskollektivs Nation. Den Kapitalismus in Stücke schlagen und eine freie Assoziation freier Individuen aufbauen!

Nicht verdrängen.Nicht verleugnen.Nicht verwerten
_Mit Deutschland endgültig brechen_
Demo, 7.April 2006, 19Uhr HBF

Den Aufmarsch zum Desaster machen – Nazis wegrocken!
Antifascist Action Day, 8.April 2006:

Ak Antifa Mannheim im März 2006

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