Aufruf zur Demo in Ludwigshafen „Nazis in die Defensive drängen – Die Autoritäre Formierung angreifen“ (lang)

Aufruf des Ak Antifa Mannheim zur Antifa Demo am 11. März 2006 in Ludwigshafen

22. Juli 2005: Eine Gruppe Naziskins überfällt auf der Konrad Adenauer Brücke zwei junge Männer, die sie als „fremd“ identifizieren. Einer der beiden wird bei dem rassistisch motivierten Angriff so schwer verletzt, daß er einen Schädelbasisbruch und Hirnblutungen erleidet. Er kommt nur um ein Haar mit dem Leben davon, liegt mehrere Wochen im Krankenhaus und wird den Rest seines Lebens an den Folgen zu leiden haben. Auch sein Begleiter, der ihm zu Hilfe kommen möchte wird mit einer Gürtelschnalle verprügelt.
Ob brutale Straßenschläger, Führungsfiguren des internationalen Rechtsrock-Netzwerkes „Hammerskins“ oder elitäre Kader der regionalen Kameradschaften: Einige der wichtigsten Nazi-Kader aus der Rhein-Neckar Region wohnen in Ludwigshafen, ebenso wie zahllose Straßenschläger-Nazis. Sie alle fühlen sich hier sicher vor antifaschistischen Interventionen – das werden wir am 11 März gemeinsam mit euch ändern!


Die regionale Naziszene läßt sich aber nicht für sich genommen bekämpfen. Sie ist Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, die seit Jahren eine umfassenden Entwicklung der Entrechtung und Verblendung schafft. Ökonomische Prekarisierung, die Mobilisierung autoritärer Einstellungen in der Bevölkerung und der Ausbau eines autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaates ergeben eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die Möglichkeiten zum selbstständigen Gestalten des eigenen Lebens immer geringer werden. Die Naziszene ist im Verlauf und als Teil dieser Entwicklung massiv angewachsen, und sie wächst weiter. Sie muß demnach auch als ein Teil dieser autoritären Formierung bekämpft werden.
Gleichzeitig ist spätestens seit Gerhard Schröders Staatsantifa des Sommer 2000 das Engament gegen Nazis kein Monopol der radikalen Linken mehr. Ganz im Gegenteil, die offensive Abgrenzung von offen Nazistischem Gedankengut und der Geschichte des Nationalsozialismus ist seit Schröder/Fischer ein zentraler Teil des Selbstverständnisses der „Berliner Republik“ geworden. Antifaschistische Politik die nicht nur antifaschistisch, sondern auch emanzipatorisch und revolutionär sein möchte, muss sich seither noch intensiver mit den gesellschaftlichen Bedingungen und Grundlagen des Erstarkens der bundesdeutschen Naziszene auseinandersetzen. Tut sie dies nicht, und betreibt einen reinen Anti-Nazi Kampf, so läuft sie Gefahr Teil des selben hegemonialen ideologischen Projekts zu werden, das die Existenz der Nazis erst möglich macht. In diesem Moment beginnt sie sich ad absurdum zu führen und ihrem Projekt umfassender sozialer Emanzipation entgegenzuarbeiten. Dies zu vermeiden, dazu möchten wir im folgenden unseren Beitrag leisten.

The ugly Guys…
Die Nazi-Szene des Rhein- Neckar Dreiecks im Jahr 2005 gestaltet sich vielseitig. Sowohl die Parteistrukturen der NPD, als auch zahlreiche „freie“ Kameradschaften sind aktiv. Die Zusammenarbeit zwischen diesen funktioniert seit Jahren problemlos. Zum Landtagswahlkampf 2006 in Rheinland-Pfalz kandidieren mehrere Kader aus dem „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ auf der Liste der NPD. Auch in Sachen Nazirock ist einiges los: Auf zahllosen Konzerten wurde auch 2005 Nachwuchs integriert und Geld verdient. Die handlungsfähigste und für die Szene relevanteste politische Struktur stellt seit Jahren das „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ dar. Das „AB“ hat seine Aktivitäten im Jahr 2005 vervielfacht. Zahlreiche kleinere öffentliche Aktionen wie Infostände auf Dörfern fanden ohne Vorankündigung statt. Die Nazis aus dem Umfeld des „AB“ haben außerdem angefangen in Gruppen von 25 – 60 Personen Veranstaltungen, die ihnen mißliebig sind zu „besuchen“. Sie wenden bei diesen Besuchen keine Gewalt an, ihre Anzahl und ihr Auftreten sind aber durchweg eine offene Drohung. Formell proklamieren sie „mitreden“ zu wollen, tatsächlich geht es um Störung der Veranstaltung und Einschüchterung der Anwesenden.
Klar zu erkennen ist die Tendenz vermehrt zu versuchen für verschiedene Kreise anschlußfähig zu werden. Die Szene ist kulturell vielfältiger geworden, sie besteht aus vielen Milieus. Auf den Aufmärschen am ersten Mai liefen NPD-Opas im Rentner-Outfit neben den „autonomen Nationalisten“ der Kameradschaft Bergstraße, Naziskinheads in Bomberjacke und Stiefel marschierten neben folkloristisch gekleideten Dirndl-Trägerinnen durch die Straßen.
Gerade das „AB“ versucht konsequent sich als verfolgte unschuldige Minderheit zu inszenieren. Zu diesem Zweck schießen dann angebliche „Bürgerinitiativen“ wie Pilze aus dem Boden. Dabei wird oftmals eine verkürzte und antisemitische „Kapitalismuskritik“ betrieben und versucht sich als „soziale Alternative“ zu verkaufen. Auch wird seit längerer Zeit versucht bei bestehenden Konflikten „auf fahrende Züge aufzuspringen“. Der Versuch an einer Friedensdemo in Mannheim gegen den Irakkrieg 2003 teilzunehmen endete noch im Flaschen- und Steinhagel. Bei einer Montagsdemo in Frankenthal 2005 jedoch wurden sie erstmalig geduldet. Die regionale Naziszene simuliert zur Zeit eifrig eine Soziale Bewegung in der Hoffnung dadurch tatsächlich eine zu werden.

The Rest…
Die Restgesellschaft legt ein sehr unterschiedliches Verhalten den Nazis gegenüber an den Tag. Der Alltagsterror, den die Straßennazis in Ludwigshafen und großen Teilen des rheinland-pfälzischen Hinterlandes gegen alle als „fremd“ wahrgenommenen ausüben, findet dort im Alltag kaum Widerspruch. Die Polizei kommt spät, schreitet noch später ein und zeigt wie überall kaum Interesse für die Situation der Opfer. Sie verschweigt Übergriffe in der Regel und wird aus der berechtigten Angst vor Gängelungen durch die Beamten oft erst gar nicht gerufen.
Zwei Nazirock- Konzerte in Mannheim-Rheinau wurden nach Druck aus dem Stadtrat von der Polizei beendet. In aller Regel beschränken sich die Aktivitäten der Polizei bei Rechtsrock-Konzerten jedoch auf Beobachtung und höchstens Personalienkontrollen.
Die „Doppeldemo“ am ersten Mai rief zumindest in Worms Proteste des bürgerlichen Spektrums, beispielsweise des DGB, hervor. In Frankenthal wurde sich dagegen im “Bratwurstessen gegen Rechts“ trainiert. Die NPD Kundgebung in Ludwigshafen am 03 September ´05 rief von bürgerlichen Gruppen nur wenig Protest hervor. Gerade einmal 150 Menschen kamen, um sich den Nazis entgegen zu stellen. Die Kundgebung der NPD am 16. Oktober des Jahres zuvor in Mannheim rief von Seiten bürgerlicher Gruppen deutlich mehr Aktivitäten hervor. In den meisten Fällen jedoch, in denen gegen angekündigte öffentliche Aktionen der Nazis mobilisiert wurde, stellte ein Gemisch Antifas, MigrantInnen und SchülerInnen das Gros der Gegendemonstranten. Gerade in Ludwigshafen hat die Polizei ein klares Feindbild. Das Problem ist nicht nazistisches Gedankengut und seine Verbreitung, sondern all diejenigen die sich dagegen positionieren. Bei der letzten Kundgebung an Heiligabend kamen gerade einmal knapp 100 Menschen um sich den Nazis entgegen zu stellen. Die Polizei kesselte gleich zu Beginn eine Gruppe jugendlicher Gegendemonstranten ein und begann diese zu drangsalieren. Als Vorwand zur Festnahme genügte bereits das Mitführen eines Schals, wohlgemerkt Ende Dezember. Mehrere Jugendliche wurden leicht verletzt.
Während im Alltag also die Ignoranz gegenüber nazistischen Strukturen vorherrscht, gibt es anläßlich angekündigter öffentlicher Aktionen von Nazis eine bedingte Kultur des „sich dagegen positionieren“, allerdings in hauptsächlich verbaler Form.

Rechter Konsens und NS-Tabu
Um die regionale Naziszene und ihre Entwicklung verstehen zu können lohnt es sich zunächst allgemeiner das Verhältnis der Nazi-Szene zum Rest der BRD-Gesellschaft zu betrachten. Das Bündnis gegen Realität (BGR) aus Leipzig hat dazu die Begriffe Rechter Konsens und NS-Tabu entwickelt, die wir in diesem Zusammenhang hilfreich finden. Was die bundesrepublikanische Gesellschaft demnach kennzeichnet, ist das Bestehen eines Rechten Konsens einerseits, und eines NS-Tabus andererseits. Unter Rechtem Konsens werden dabei all jene Einstellungen verstanden, die weit über die Nazi-Szene hinaus in breiten Teilen der Bevölkerung verankert sind und mit nazistischen Anschauungen übereinstimmen. Dieser Rechte Konsens ist keine feste Einheit, er besteht aus verschiedenen Elementen und Formen. Dabei sind durchaus Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche möglich. Drei Aspekte kennzeichnen ihn grundlegend: ein autoritäres Staatsverständnis, eine völkische Eigen- und Fremdwahrnehmung und ein spezifisches Verständnis von Arbeit. Im Rechten Konsens wird dem Staat große Kompetenz zugesprochen. Das Recht des Staates über die Individuen bestimmen zu können, kann hier nicht angezweifelt werden. Im Gegenzug dazu wird vom Staat die Lösung gesellschaftlicher Probleme erwartet. Gelingt dies nicht, oder nur teilweise, so stellt dies nicht die Rolle des Staates an sich in Frage, sondern zeugt lediglich von der Inkompetenz und Schwäche der aktuellen Regierung. Hier findet sich die Lösung der Probleme durch einen „starken Mann“ in weiten Teilen der Bevölkerung potentiell angelegt. Die völkische Eigenwahrnehmung meint den weitverbreiteten Glauben, als Einzelner Teil eines Volkes, im Sinne einer Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft zu sein. Dieses wird als natürliche Grundlage des Nationalstaates erachtet. Die andere Seite dieser Vorstellung, Teil eines Volkes zu sein, ist die Definition dessen, was „fremd“ ist, also vor allem MigrantInnen und Jüdinnen und Juden. Dabei haben sowohl der Antisemitismus als auch der Rassismus in den letzten Jahren bedeutende Weiterentwicklungen erfahren. Ob die Begründung der angeblichen Fremdheit nun aber „Rasse“, oder moderner: „Kultur“ ist, ob Jüdinnen und Juden für ihre angebliche Weltverschwörung gehaßt werden, oder ob sie moderner: auf Israel projiziert werden und dort die dann größte Gefahr für den Weltfrieden sein sollen: das eigene „Volk“, die eigene Identität bestimmt sich immer am einfachsten in Abgrenzung und Ausschluß von „Fremden“.
Außerdem zentral im Rechten Konsens ist eine bestimmte Vorstellung davon, was Arbeit bedeutet. Arbeiten zu gehen wird als Voraussetzung dafür betrachtet, an der Gemeinschaft teilhaben zu dürfen, arbeiten ist ein zentraler Wert, die zentrale moralische Erwartung an alle Gesellschaftsmitglieder und wird gleichzeitig auch als bedeutendes individuelles Recht verstanden.
Die Einstellungsmuster des Rechten Konsens formulieren zwei zentrale Erwartungen an den Staat: die Schutzerwartung und die Wohlstandserwartung. „Vater Staat“ soll allen Arbeit geben und ihnen so ein „anständiges“ Auskommen ermöglichen. Zum zweiten soll er die Schicksalsgemeinschaft vor Bedrohungen aller Art schützen. Während des Kalten Krieges war das zentrale Feindbild und die Bedrohung der stalinistische Ostblock. Nach dessen Ende wurde dieses durch vielfältigere ersetzt.

Der „Nationale Wettbewerbsstaat“
Der rechten Konsens ist historisch gewachsen und hat sich immer wieder verändert. Um seine aktuellen Veränderungen verstehen zu können, ist es hilfreich, den Umstrukturierungsprozeß betrachten, in dem Staat und Wirtschaft sich seit Jahren befinden. Im Rahmen der neoliberalen Globalisierung haben die Nationalstaaten begonnen ihre Rolle zu verändern. Dabei sind sie zunehmend weniger in der Lage soziale und wirtschaftliche Konflikte im nationalstaatlichen Rahmen zu lösen. Diese korporatistische Lösung ökonomischer und sozialer Konflikte im Rahmen des Nationalstaates war kennzeichnend für die vorangegangene Phase des Fordismus. Hierzu zählt die Integration der Gewerkschaften, und eine relativ hochtechnisierte Massenproduktion von Konsumgütern ebenso wie der Ausbau des Sozialstaates und die Etablierung großer Volksparteien. Möglich war dies geworden, weil die Wirtschaft ihren Wertschöpfungsprozeß zu einem Großteil im Binnenmarkt vollziehen konnte. Die Steigerung der Einkommen weiter Bevölkerungsschichten war gleichzeitig Folge und Bedingung dieses Prozesses.
Zur Überwindung der zweiten Weltwirtschaftskrise seit den siebziger Jahren war es jedoch notwendig geworden andere Sphären der Wertschöpfung zu erschließen. Hierfür erwies sich die institutionelle Formierung des Fordismus als hinderlich. Im Rahmen der nun notwendig gewordenen zunehmenden Entflechtung, Flexibilisierung und Internationalisierung der wirtschaftlichen Zusammenhänge verwandeln sich die Nationalstaaten seither zunehmend in Wirtschaftsstandorte, die miteinander um Investitionen konkurrieren. Dabei gilt es möglichst attraktiv für Unternehmen zu sein. Das heißt eine gute Infrastruktur, niedrige Steuern, gut ausgebildete Arbeitskräfte bei gleichzeitig niedrigen Lohnkosten anbieten zu können. Diese Strukturveränderungen bringen die Nationalstaaten gleichzeitig in eine Krise ihrer bisherigen Mechanismen der Legitimationsbeschaffung.
Aus dem Garanten individueller und kollektiver sozialer Sicherheit und der ökonomischen Zukunftsperspektive ist ein Akteur geworden, der die zunehmend größeren Zumutungen der kapitalistischen Sachzwänge umsetzen, und diese Umsetzung den Individuen vermitteln muß. Die Legitimation staatlicher Herrschaft muß seither zunehmend auf anderen Gebieten stattfinden. Durch die Aktivierung des Rechten Konsens gegen angebliche innere und äußere Feinde in unterschiedlichen Kampagnen versucht die Politik die Legitimation und Zustimmung, die ihr auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftspolitik zunehmend abgeht, auszugleichen.

Die Autoritäre Formierung…
Die Autoritäre Formierung ist eine umfassende gesellschaftliche Entwicklung der Entrechtung und Verblendung. Sie ist ein umfassendes Projekt institutioneller, ökonomischer und ideologischer Transformationen, das die Krise des Fordistischen Akkumulationsmodells lösen soll und die Individuen noch weiter von einer selbstbetimmten und rationalen Gestaltung ihres Lebens entfernt, als sie es bisher schon waren. Sie richtet ihre Interessen und Bedürfnisse noch schärfer aufeinander und befördert dabei autoritäre Einstellungsmuster.
Sie vollzieht einerseits eine massive Verschärfung der materiellen Verhältnisse und vermittelt und legitimiert diese gleichzeitig mit ideologischen Kampagnen, die den Rechten Konsens mobilisieren und reproduzieren. Dabei sind der ideologische und der materielle Aspekt nie zu trennen. Während der boomende Nationalismus bspw. zunächst eine ideologische Transformation ist, wirkt diese sich für die vom zunehmenden Rassismus betroffenen handfest aus. In Hunger, Folter oder Tod abgeschoben zu werden ist kein ideelles Problem.
Es handelt sich aber nicht um einen abgeschlossenen Vorgang, sondern einen langfristigen Prozeß, der sich ganz aktuell vollzieht, und ohne starken Gegenwind auch noch lange weitergehen wird. Der angesprochene Paradigmenwechsel hin zu einer als neoliberal definierbaren Politik begann in der BRD zwar bereits mit der Regierung Kohl ab `82, hemmungslos an Fahrt gewann er aber erst nach den epochalen Veränderungen der Jahre ’89/’90. Der Zusammenbruch des Ostblocks, das scheinbare „Ende der Geschichte“ und der Zusammenbruch der damaligen Linken ließen den Großteil des gesellschaftlichen Gegendrucks zusammenbrechen.
Der Begriff Autoritäre Formierung versucht die gesellschaftlichen Veränderungen seither zu fassen, und die Entwicklung der NS-Szene als ein Teil dieser Entwicklung zu begreifen. Zentral ist dabei die Verschiebung der staatlichen Legitimation von der Befriedigung der Wohlstandserwartung auf die der Schutzerwartung. Als Ziel der Autoritären Formierung könnte man mit ihren ideologischen Protagonisten sagen:
Deutschland fit zu machen für den globalisierten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts.
Die Schlagworte schlechthin sind dabei der „Standort“ und die sogenannte „Wettbewerbsfähigkeit“ geworden. Ob Nationalstaaten, Städte, Regionen ob Unternehmen, Abteilungen oder Menschen: sie alle werden schärfer denn je daran gemessen, wie weit sie die Erwirtschaftung von Profit befördern oder behindern.

Prekarisierung…
Die Autoritäre Formierung ist auch der Wandel, der die zunehmende Dominanz und Autorität des Akkumulationsregimes beschreibt, der der Sachzwanglogik der endlosen Akkumulation immer direkteren Zugriff auf die Individuen erlaubt. Die eigene Existenz gegenüber dem omnipräsenten kapitalistischen Sachzwang der Wertschöpfung zu rechtfertigen, sie mit diesem in Übereinstimmung zu bringen, wird dabei immer schwieriger. Selbst mit einer relativ hohen Qualifikation sind befristete Zeitverträge heute in vielen Branchen die Regel. Der Druck die eigene Verwertbarkeit zu beweisen steigt. Gleichzeitig ist seit vielen Jahren eine massive Zunahme der Mac-Jobs zu verzeichnen. Auch und gerade in niedrigqualifizierten Jobs werden auch in Deutschland Arbeitnehmerinnenrechte demontiert, die über Jahrzehnte als Selbstverständlichkeit galten. Gedacht sei hier beispielsweise an die jüngst der breiten Öffentlichkeit zugänglich gewordenen Arbeitsbedingungen bei Lidl, die seit Jahren öffentlich betriebene Demontage der Flächentarifverträge oder oder oder …
Mit Hartz IV wird auch der Sozialstaat immer autoritärer. Bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit folgt jetzt der Absturz aufs Existenzminimum. Dem unverwertbaren Bodensatz der Wertschöpfungsgesellschaft wird dabei mit immer mehr moralischem Druck und behördlicher Gängelung begegnet. Hausbesuche und Schnüffeleien in der Privatsphäre der Betroffenen zur Untersuchung der „Rechtmäßigkeit“ der angemeldeten Bedürfnisse gelten als völlig normal. Auch medial wird hier immer stärkerer Druck ausgeübt. In zahllosen Medienkampagnen gegen „Sozialschmarotzer“ wird der Rechte Konsens gegen die inneren „Feinde des Volkes“ aktiviert. Hier wird in autoritärer Manier das herrschende Arbeitsethos in Stellung gebracht. Das wahnhafte Bild des Rechten Konsens projiziert die Ursache für Arbeitslosigkeit in das Innere, die Moral der Individuen. Faulheit sei der Grund so heißt es, die Betroffenen demnach schuldig. Daß schon rein strukturell viele Menschen aus dem kapitalistischen Wertschöpfungsprozeß herausfallen, wird dabei gekonnt ausgeblendet.
Die gesamte Krise des fordistischen Akkumulationsmodells wird dabei medial in einer scheinbaren Unausweichlichkeit und gemeinsam mit ihrer neoliberalen Lösung als einzigem Ausweg propagiert. Tagtäglich werden wir von einem kruden propagandistischen Gebrabbel über Staatschulden und Reformstau terrorisiert. Konsequent wird dabei die weitere gesellschaftliche Zurichtung auf Verwertbarkeit propagiert. Reformer so heißt es, sind diejenigen, die Rechte abbauen, Blockierer all jene, die an dieser Propaganda zweifeln. Die mediale Vermittlung der Krise geschieht dabei so, daß sie die Illusion der Schicksalsgemeinschaft weiter befördert. Die aktuelle ökonomische Krise so wird vermittelt, kann nur von allen zum Zwangskollektiv „Nation“ gehörenden gemeinsam bestanden werden. Gleichzeitig wird die Verantwortlichkeit für soziale Absicherung zunehmend individualisiert. Die erhöhte Bedeutung der systemimmanenten Sachzwänge der Wertschöpfungswirtschaft verkleinert die Handlungsspielräume der Politik. Die wirtschaftlichen Konzepte der bürgerlichen Parteien unterscheiden sich nur noch äußerst graduell. Bot die bürgerliche Demokratie schon immer nur einen äußerst engen Rahmen, innerhalb dessen Entscheidungen gefällt werden, und schloß dieser die interessanten Fragen immer schon aus, so verkleinert sich dieser Rahmen zusehends weiter. Politische Konzepte, so reaktionär sie sein mögen, verschwinden zusehends. Die ökonomische und soziale Sicherheit wird zunehmend individualisiert und der „Eigenverantwortung“ von Marktsubjekten überantwortet. Es regiert der Sachzwang, die Verblendung schreitet voran.

Der Sicherheitsstaat
Zur medialen Vermittlung der realen ökonomischen Krise des Fordismus gesellt sich eine zunehmende Differenzierung der vermittelten Bedrohungsszenarien. Die alten Feindbilder aus dem Kalten Krieg fanden rasch Ersatz. Während auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik die Erfolge ausblieben, konnte sich die Politik auf dem Gebiet der „Inneren Sicherheit“ stark und handlungsfähig präsentieren.
In den neunziger Jahren halfen die Diskurse über die „organisierte Kriminalität“ und „Banden aus Osteuropa“ dem neoliberalen Wettbewerbsstaat sich in Bezug auf die Schutzerwartung als stark und handlungsfähig inszenieren zu können. Bald wurden die „kriminellen Ausländer“ zu einem der Lieblingsschlagwörter auch der NS-Szene und boten dieser neue Anknüpfungsmöglichkeiten. Mit jeder Aktivierung des Rechten Konsens, mit jedem neuen Feindbild wird der Rechte Konsens erweitert, reproduziert. Von diesem ständigen Anheizen konnte und kann die NS-Szene profitieren und oftmals in eigenen Aktivitäten wachsen und Stärke gewinnen.
Faktisch sind die letzten 15 Jahre auch durch einen rasant voranschreitenden Abbau bürgerlicher Freiheitsrechte gekennzeichnet. In dieser Zeit fand ein massiver Ausbau der rechtlichen Kompetenzen der Sicherheitsorgane und ihre beispiellose technologische Aufrüstung statt. Ob großer Lauschangriff, Sicherheitspaket, Kameraüberwachung öffentlicher Plätze oder die Umstrukturierung des BGS zur Bundespolizei: Während die große Volkszählung 1987 noch einen Aufschrei und eine Protestwelle bis weit ins bürgerliche Lager auslöste, formiert sich heute kein nennenswerter gesellschaftlicher Widerstand gegen wesentlich schärfere Entwicklungen.
Andererseits ist der autoritäre Sicherheitsstaat das Mittel des Staates sich mit der NS-Szene auseinander zu setzten. Weil die von ihnen selbst ständig eingeforderte inhaltliche Auseinandersetzung den bürgerlichen Politikern unmöglich ist; schließlich vertreten sie die meisten Thesen der NS-Szene in abgewandelter Form selbst, wird versucht dieser mit Verboten Herr zu werden. Diese Verbote haben dabei einen ambivalenten Effekt. Einerseits schwächen sie die Szene für eine Weile, da diese mit ihrer Reorganisation beschäftigt ist. Andererseits können sie die langfristig keinen nennenswerten Teil der Kader von ihren Aktivitäten abhalten. Im Gegenteil: die Verbote von Mitte der neunziger Jahre (FAP, ANK, Wiking-Jugend usw.) haben einen ungeheuren Produktivitätsschub in der Szene ausgelöst. Stellte zunächst die JN das relevante Auffangbecken dar, so gewannen bis Ende der Neunziger die „Freien Kameradschaften“ die Oberhand. Diese loseren, informelleren Strukturen reproduzieren sich wesentlich schneller, sie sind auch schneller zu Veränderungen in der Lage. Erst sie haben die kulturelle, politische und organisatorische Vielfalt der Szene die wir heute finden möglich gemacht.
Diese Differenzierung gehört zu den bedenklichsten Entwicklungen der Szene, ermöglichen sie es doch den Nazis ansatzweise aus dem sozialen Ghetto heraus zu kommen und Bestandteil normaler Alltagskultur zu werden.
Auch der Ausbau eines immer perfider werdenden Migrationsregimes zählt zur Entwicklung des autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaates. Jede Nacht machen bewaffnete Grenzpolizisten mit Hunden und Nachtsichtgeräten an den Außengrenzen der EU Jagd auf Flüchtlinge. 100000e Menschen leben quasi unsichtbar, da „illegal“ in der Bundesrepublik, dabei stets elementarer Rechte beraubt. Ob Recht auf Bewegungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung oder Demonstrationsfreiheit: von den bürgerlichen Freiheitsrechten verbleiben mehr und mehr nur verstümmelte Reste. Diese Entwicklung hat aber ihren Ursprung nicht nur in der ideologischen Legitimation staatlicher Herrschaft, sondern hat für diese auch praktische Gründe: mit der Verschärfung der Verhältnisse steigt das Risiko aufsässiger Bewegungen. Diese sollen in jedem Fall unter Kontrolle gehalten werden.

Die deutsche Welle…
Der erste große Boom des Kechten Konsens in den letzten Jahren fällt mit der Einverleibung der DDR zusammen. An ihr läßt sich bereits das Verhältnis des rechten Konsens in der Bevölkerung zu seiner Aktivierung durch Politik und Medien einerseits, und der NS-Szene andererseits ablesen. Vorrausgegangen war der formalen Wiedervereinigung eine beispiellose Welle nationalistischer Mobilisierung in DDR und BRD. Der Startimpuls der Autoritären Formierung lag demnach bei der Bevölkerungsmehrheit. Umgekehrt wurde der aufblühende Nationalismus aber von Politik und Medien gezielt und massiv geschürt. Auf Basis des „Wir sind das Volk“-Taumels der Dresdner Montagsdemos ff. wurde die Einverleibung der DDR in die BRD möglich. Aus der politischen Verfestigung und Beförderung des völkischen Wahns im erstarkten Deutschland folgten dann später wieder die rassistischen Pogrome von Rostock, Mölln und Solingen. Der kollektive völkische Wahn dieser Jahre lies die Naziszene in ihrem Umfang explodieren. Dieser erstarkten Naziszene gelang es die nationalistische und rassistische Stimmung weiter anzuheizen, und dabei einige ihrer Diskurse bis weit in bürgerliche Kreise zu transportieren.
Genau an diesen Punkten, wenn es wie Anfang der Neunziger der NS-Szene gelingt durch die Aktivierung des Rechten Konsens Zustimmung zu erzeugen, und so die Politik unter Druck zu setzten, kann sie Erfolg haben. Die bürgerliche Politik rückt nach rechts, um selbst diese Stimmung für sich produktiv zu nutzen, während die Nazis den politischen Erfolg in die Konsolidierung ihrer Strukturen umsetzten können. Die damalige Hetze gegen „Asylanten“ traf auf breite Zustimmung, der blühende Rassismus fand in der Abschaffung des Asylrechts 1993 seinen formalen Niederschlag. Die fortschreitende Entwicklung und Aktivierung stereotyper Feindbilder stabilisiert die herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung indem sie Identifikationsmuster bietet. Andererseits bedeutet der blühende Rassismus für die von ihm Betroffenen eine massive materielle Verschlechterung ihrer Situation.

Die Geschichte ist immer die Geschichte der Herrschenden…?!
Die konservative Politik der 80er Jahre versuchte noch die offene Versöhnung mit der NS-Vergangenheit, versuchte letzten Endes die Tabuisierung des NS langsam aufzuweichen. Erinnert sei hier an Kohls „ehrenden“ Besuch an den SS-Gräbern in Bitburg und den Historikerstreit um die Totalitarismus-These 1986/87. Diese offene Versöhnung wurde mit der Wiedervereinigung unmöglich, die europäischen Nachbarn, allen voran Großbritannien und Polen, hatten erhebliche Bedenken gegen das erneute Erstarken eines wiedervereinigten Deutschland angemeldet. In dieser Situation war diese Form des Geschichtsrevisionismus im Hinblick auf die Entwicklung der BRD im internationalen System hinderlich. Die Regierungsübernahme von Rot-Grün 1998 ermöglichte in diesem Sinne große Schritte nach vorn. Standen die konservativen Politiker der Ära Kohl immer in einem gewissen Verdacht sich der Vergangenheit entledigen zu wollen, so waren die ’68er Schröder und Fischer über diesen Verdacht scheinbar erhaben. Statt das NS-Tabu langsam aufzuweichen wurde es bei ihnen nun in einen neuen Menschenrechts-Nationalismus integriert. Womit es den Konservativen so lange gehapert hatte, gelang Rot-Grün in Windeseile: die endgültige Versöhnung mit der deutschen Geschichte. Und mehr noch, diese wurde produktiv in Wert gesetzt für das neue Deutschland, die „Berliner Republik“. Nur etwa ein Jahr nach ihrem Amtsantritt führte Deutschland unter Rot-Grün erstmals wieder einen Angriffskrieg, im Rahmen des NATO-Überfalls auf Serbien. Beeindruckend dabei die Dreistigkeit der Argumentation: nicht trotz, sondern wegen Auschwitz sei der Überfall notwendig gewesen, so war zu hören. Was bereits seit Jahren verteidigungspolitische Richtlinie war, den Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt zu sichern, wurde hier zum ersten mal militärisch durchgeführt. Der historische Nationalsozialismus stand dem neuen deutschen Großmachtstreben nicht mehr länger im weg, er begann es in dieser Logik zu legitimieren. In der Folge der Versöhnung mit der Vergangenheit entstand ein beispielloser Opfermythos der Deutschen über sich selbst. Dieser entstand nicht erst; die meisten Menschen in Deutschland hatten sich schließlich immer selbst für die ärmsten Opfer des NS gehalten, aber er wurde politisch salonfähig und zu einem produktiven öffentlichen Diskurs. An kaum einem Punkt hat die vermeintlich tolerante „Berliner Republik“ so große Schnittmengen mit der Nazibewegung wie in ihrem Opferwahn. Jörg Friedrich, dessen pseudohistorischer Bestseller „Der Brand“ beispielhaft für den quasi-konsensualen deutschen Opfermythos stehen kann, spricht in seinem Buch von brennenden Luftschutzbunkern als „Krematorien“ und nennt alliierte Bomberverbände „Einsatzgruppen“. Diese Wortwahl relativiert ganz offensichtlich den Holocaust, aber sie ist geschichtspolitischer Mainstream der „Berliner Republik“. Wenn die NPD im sächsischen Landtag dann vom „Bombenholocaust“ spricht, ist der Unterschied im Grunde marginal. Dennoch produziert das eine einen Skandal und das andere (re-)produziert den Mainstream Diskurs. Den Unterschied macht das NS-Tabu. Die NPD wählt diese Worte bewußt am 27.01., dem Gedenktag der Befreiung Auschwitz` um zu provozieren. Während die bürgerlichen die Schuld längst nicht nur akzeptiert haben, sondern in ihren neuen Nationalismus die Tabuisierung des NS zentral aufgenommen haben, so bricht die NPD dieses Tabu bewußt, um es so angreifen zu können.
Die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges werden im bürgerlichen Kontext zunehmend universalisiert, entkontextualisiert und so relativiert. Die Hinrichtung von Juden durch die SS, der Tod durch amerikanische Bomben oder der Angriff auf den Irak: die die sich mit der Geschichte versöhnt haben verkochen alles in einem großen Brei gleichgemachter „Leiden“ und erklären sich gleichzeitig zu deren ultimativen Bewältigungsweltmeistern. Das geläuterte Deutschland so heißt es, darf mit seinen Bomben Menschenrechte in alle Welt exportieren. Die Konstruktion der deutschen Friedensmacht findet stark im europäischen Rahmen statt. Das aktuelle deutsche Großmachtstreben unterscheidet sich von dem der Jahrhundertwende und des Nationalsozialismus besonders darin, daß es nicht in Aggression, sondern Kooperation mit seinen europäischen Nachbarn unter Führung der BRD stattfindet. Gerade diese blutige Vergangenheit wird dabei von den europäischen „Partnern“ gemeinsam ideologisch in Wert gesetzt. Die öffentlichen europäischen Diskurse anläßlich des Irakkrieges zeigten es deutlich: Europa verkauft sich mit Berufung auf die gemeinsame Geschichte als „Friedensmacht“. Gerade am 8.Mai 2005 zeigte sich auch die Bereitschaft der europäischen Regierungen, va. Frankreichs und Großbritanniens, die Geschichte des zweiten Weltkrieges nach Manier der „Berliner Republik“ in einem großen, faktisch schuldtilgenden Brei von vermeintlich gemeinsamen Leiden aufgehen zu lassen. Was bei Opfer- und Veteranenverbänden dieser Länder auf wenig Gegenliebe stößt, ist für deren Regierungen äußerst sexy: die Konstruktion einer gemeinsamen europäische Identität, als angeblich „sozialer Alternative“ zu den Vereinigten Staaten. Dieser Punkt verweist bereits auf den Zweck dieser Transformationen. Diese Konstruktion ist zweckdienlich für die Entwicklung einer europäischen Wirtschafts- und langfristig auch Militärgroßmacht. Als Teil dieses Bündnisses ist es den europäischen Staaten besser möglich ihre nationalen Interessen in einer globalisierten Welt zu durchzusetzen. Die Entwicklung einer europäischen Identität ist die ideologische Aufrüstung zur Großmacht. Sie bietet einen äußerst funktionalen Legitimationszusammenhang um die Verschiebung nationalstaatlicher Kompetenzen auf die supranationale Eu gegen nationalistische Ressentiments ebenso zu legitimieren, wie die Durchsetzung ökonomischer Sachzwänge gegen bisher garantierte sozialstaatliche Privilegien.

Bilderwelten….
Die ideologische Klammer, die den rechten Konsens, gerade anläßlich der vermeintlich sozialen und historisch geläuterten Ablehnung des Irakkrieges den rechten Konsens erweiterte und erneuerte, ist die des antiamerikanischen Ressentiments. Über dieses ließen sich große teile des alt- 68er Milieus noch tiefer in den rechten Konsens verstricken, als sie es bisher schon waren. Die Ablehnung des Angriffs auf den Irak ließ eine europaweite Friedensbewegung entstehen an deren Spitze die Regierungen von Frankreich und Deutschland standen. Die weit verbreitete Parole war: Kein Krieg für Öl! Schaffte der ungleich skandalösere Krieg gegen Serbien vier Jahre zuvor es in Deutschland kaum auch nur eine Maus hinter dem Ofen hervorzulocken, so waren sich beim Angriff der USA auf den Irak alle einig: allein wirtschaftliche Interessen, Profitgier sei Motiv dieses Krieges. Wurden die nicht besser zusammen gelogenen „Argumente“ und „Beweise“ den eigenen Politikern problemlos geglaubt, so wurden sie beim „profitsüchtigen Amerikaner“ plötzlich durchschaut.
Zu dieser ideologischen Bewegung gehört auch die vermeintliche „Kapitalismuskritik“ des sozialeren Europa, die letzten Sommer von Franz Müntefering angestoßen wurde. Das Titelbild der IG-Metall Zeitung vom August 2005 ist dabei zu trauriger Berühmtheit gelangt. Der amerikanische Investor als hämisch grinsende Heuschrecke, die die ach so sozialen europäischen Unternehmen aussaugt. Das Bild der Heuschrecke ist dabei rasch in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Hier findet sich die klassische verkürzte Kapitalismuskritik des Antisemitismus im antiamerikanischen Ressentiment wieder. Anstatt den Kapitalismus als apersonales strukturelles Herrschaftssystem zu erkennen und die amorphe Herrschaft der „toten aufgehäuften Arbeit“ ebenso total zu kritisieren wie sich durch die Individuen vollzieht, wird eine künstliche Trennung vollzogen. In dieser strukturell der klassischen antisemitischen Bilderwelt gleichenden Vorstellung finden wir gutes, weil schaffendes und produktives Kapital und, dem entgegengesetzt, böses, weil raffendes und unproduktives Kapital. Diese Trennung ist unzulässig, denn das Kapitalverhältnis beginnt bereits mit Privatbesitz und Lohnarbeit, und sie hat weitreichende Folgen. Weil das Kapitalverhältnis nicht in seiner Komplexität und seinem strukturellen Charakter erkannt wird, werden alle seine negativen Folgen auf einzelne Akteure oder Gruppen projiziert. Diese Verkürzungen und Ressentiments, die weite Teile der Bevölkerung über „die Amerikaner“ teilen, ähneln denen des klassischen Antisemitismus.

Zurück zu den Nazis
Während sich in den Mainstream Diskursen des „sozialen Europa“ der Antisemitismus noch hinter der vorgeblich „sachlichen“ USA-Kritik verbirgt, lehnt sich die Naziszene an diese Diskurse an und verschärft sie offen antisemitisch. Die angesprochene Trennung in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital fügt die NS-Szene mit einem Arbeitskult, wie er bereits aus dem historischen NS bekannt ist zu ihrem speziellen Antikapitalismus zusammen. Das „gute, deutsche, anständig arbeitende Volk“ wird hier ganz offen gegen das „internationale Finanzjudentum“ in Stellung gebracht. Dabei wird massiv versucht sich als „volksnahe, soziale Alternative“ zu verkaufen. Gerade der relative Erfolg der Nazis auf den Montagsdemos, va. im Osten wirkt dabei grotesk: diejenigen der Nazis die überhaupt so etwas wie wirtschaftspolitische Konzepte haben, sehen in diesen für Arbeitslose noch wesentlich schärfere Entrechtungen und Zwangsdienste vor, als Hartz IV sie bereits bedeutet. Dennoch ist es ihnen an diesem Punkt recht erfolgreich gelungen in die sozialen Proteste mittels der Aktivierung des Rechten Konsens zu intervenieren. Sie bieten eine konforme Rebellion: die scheinbare Auflehnung, die angeboten wird, läßt die gesellschaftlichen Grundfesten unangetastet und verspricht gleichzeitig Auflehnung und Wiederherstellung einer vermeintlich „natürlichen“ Ordnung.
Die Naziszene, so wie sie sich heute darstellt ist ein Produkt all dieser oben beschriebenen Entwicklungen. Angefangen mit ihrem massiven Anwachsen durch den Nationalismusboom der Wiedervereinigung und die erfolgreich geschürte Nationalismuswelle, über die Übernahme bürgerlicher Feindbilder bis zum weiteren Wachstum in den Neunzigern. Ebenso die Herausbildung der „freien“ Strukturen als Folge der Verbote von Mitte der neunziger Jahre und in deren Folge die kulturelle, strukturelle und politische Differenzierung der Szene.
Das Vorhandensein neonazistischer Diskurse in wesentlich vielfältigeren Formen als noch vor wenigen Jahren gehört für uns zu den gefährlichsten Entwicklungen der nazistischen Szene. Wenn unter Jugendlichen die Stigmatisierung nazistischer Kultur bröckelt, wenn Landser ebenso bekannt ist wie die Musik aus den Charts, wenn Nazis nicht mehr nur häßliche Skinheads, sind sondern schicke Popper sind, dann bröckelt hier ansatzweise das NS-Tabu in der jungen Generation.
Die NS-Szene bildet die Restgesellschaft nicht einfach ab, sie übernimmt und überspitzt einige ihrer Diskurse, ebenso wie es ihr gelingt manche ihrer Diskurse in die Restgesellschaft zu tragen. Beide stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Spannung, ebenso wie großer Nähe. Sie beeinflussen sich gegenseitig, und gemeinsam schaffen sie die Entwicklung fortschreitender Entrechtung und Verblendung, die wir Autoritäre Formierung nennen. Der blutige Straßenterror der Nazis ist dabei nur einer der plakativeren Ausdrücke dieser Entwicklung.
Der Kampf gegen ihn kann für uns nicht allein stehen. Seit der Integration des NS-Tabus in den Nationalismus der „Berliner Republik“, muss der Kampf gegen Nazis noch mehr als zuvor ein Kampf gegen ihre gesellschaftlichen Grundlagen sein. Er kann letztendes nur erfolgreich sein wenn wir unser Projekt umfassender gesellschaftlicher Emanzipation verwirklichen und nazistischem Gedankengut so seine Grundlage entziehen. Eine „wirkliche Bewegung, die die Aufhebung des jetzigen Zustandes schafft“ ist für uns aber nicht allein deshalb erstrebenswert, weil sie Mittel im Kampf gegen die Nazis ist, ganz im Gegenteil. Der Kampf gegen Nazis ist auch ein Mittel in Kampf um ein „Ende der Vorgeschichte der Menschheit“ und für einen „Verein freier Menschen“. Der Kampf gegen den sich beständig verschärfenden Wahnsinn des Verwertungs- und Akkumulationsregimes und der Kampf gegen den Straßenterror der Nazis gehören für uns untrennbar zusammen. Dem „falschen Ganzen“ stellen wir ein radikales Begehren nach einer emanzipierten Gesellschaft entgegen. In der momentanen Situation muss unser Kampf bei den Nazis anfangen, er muss aber von Anfang an darauf bedacht sein nicht dabei stehen zu bleiben. Gemeinsam an Stärke gewinnen, zu den Subjekten der Geschichte werden, kollektive politische Partizipation und ökonomische Aneignung gegen Entrechtung und Verblendung durchsetzten heisst unsere Agenda langfristig.
Weil sich die autoritäre Formierung nicht ohne einen Ansatzpunkt angreifen läßt, und weil sich das Naziproblem in Ludwigshafen nicht isoliert bekämpfen läßt:

Die Nazis in die Defensive drängen – die Autoritäre Formierung angreifen!

Ak Antifa Mannheim, Frühjahr 2006

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