Schützenhilfe für Neonazis von Bürgermeistern und anderen…

165982Stellungnahme des Antifaschistischen Aktionsbündnis Rhein-Neckar (AARN), Initiator der Kampagne “Kein Schorle für Nazis” zu den Artikeln aus der Tageszeitung RHEINPFALZ im März 2007

Grünstadt / Kirchheim an der Weinstraße.

Seit Anfang 2006 betreiben die Neonazis des “Aktionsbüro Rhein Neckar” und der NPD in Kirchheim und Altleinigen zwei Zentren. Während lokale PolitikerInnen versuchten, das Problem durch schweigen zu lösen, schlossen sich einige Gruppen vor Ort zum “Bündnis gegen Rechtsradikalismus” zusammen. Antifaschistische Gruppen riefen die Kampagne “Kein Schorle für Nazis” ins Leben. Ein erster Höhepunkt dieser Kampagne war eine Demonstration am 13. Januar `07 an der sich 800 Menschen beteiligten. Diese war mehrfach gewalttätigen Angriffen der Polizei ausgesetzt. Im Vorfeld und in der Zeit danach sorgte sie für einigen Diskussionsstoff in der Region.

Erklärte Strategie der Neonazis ist es, sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, ihre Positionen zu etablieren und langfristig sogenannte “national befreite Zonen” zu schaffen. Dazu probieren sie, an lokalen Festivitäten (zum Beispiel Weinfeste) und Sportveranstaltungen teilzunehmen und durch eigene Veranstaltungen in ihren Zentren, sowie öffentliche Versammlungen (Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen) Jugendliche an rechtsextreme Ideologie heranzuführen. Mit der sogenannten Wortergreifungsstrategie versuchen Neonazis vermehrt, Veranstaltungen bürgerlicher Parteien als Resonanzraum für ihre Ideologie zu nutzen und sich als verfolgte Minderheit darzustellen, um letztlich trotz ihrer menschenverachtenden Positionen als Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Regionen, in denen sie mit solchen Strategien Erfolg hatten, wurden zu Angstzonen für alle Menschen, die nicht ins Bild der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft passen.

Den Versuchen der Nazis, sich zu etablieren, setzten wir die Forderung “Kein Schorle für Nazis” entgegen. Also die Forderung, sie vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen, sie nicht als Diskussionspartner zu akzeptieren, nicht zuletzt, weil neonazistische Positionen keine gemeinsame Diskussionsgrundlage darstellen können.

Gegen die Versuche der Nazis, Teil der Dorfgemeinschaft zu werden, ist es eben doch das Beste, ihnen keine Anknünfungspunkte zu bieten und ihnen bei nächster Gelegenheit – nicht nur im übertragenden Sinne – eben keinen Wein mehr auszuschenken. Neben Widerstand im Alltag und Demonstrationen als zwischenzeitlichen Höhepunkten, ist Bildungs- und Aufklärungsarbeit im Kampf gegen Nazis unablässig.

Aufgrund von in Grünstadt verklebten antifaschistischen Aufklebern überschlugen sich Grünstadts Bürgermeister Hans Jäger, ein Schüler eines lokalen Gymnasiums und der Leiter der Außenstelle Pfalz der Landeszentrale für Politische Bildung, Dr. Bernd Rückwardt, in ihren Empörungen. Es wurde ein “Zwei-Fronten-Krieg” herbeigeredet, von „Hetzkampagnen“ gegen Nazis gesprochen und gefordert, sich eine Strategie gegen Linke zu überlegen.

Kirchheims Bürgermeisterin Ingrid Rehg hat dies offenbar umgehend umgesetzt und eine Veranstaltung gegen Rechts verboten. Das Bündnis gegen Rechts hatte eine Veranstaltung mit dem Titel “Argumente gegen rechte Stammtischparolen” im Kirchheimer Gemeindehaus geplant. Grund für die örtliche Wahl ist ein Neonazi-Zentrum im selben Ort, nur wenige hundert Meter entfernt.

Wir, die seit Jahren antifaschistische Arbeit in verschiedenen Regionen und Bereichen leisten, wollen die Vorkommnisse der letzten Wochen nicht unkommentiert lassen und zu einigen Äußerungen lokaler Akteure in benannten Rheinpfalz-Artikeln Stellung nehmen.

Der Zwölftklässler Fabian, Schüler des Leininger-Gymnasiums, einer “Schule ohne Rassismus”, darf als Jugendlicher, der sich gegen Rechts engagiert, zu Wort kommen. Er spricht von “Hetzkampagnen” (!) gegen Nazis durch öffentlich angebrachte Aufkleber und hält es für eine Forderung auf unterstem Niveau, den Nazis keinen Wein mehr auszuschenken. Hierzu können wir nur einem Leserbriefschreiber der Rheinpfalz beipflichten, welcher treffend schrieb: “Auch die Parole “Kein Schorle für Nazis” ist weniger niveaulos, als dies von dem Schüler des Leininger-Gymnasiums dargestellt wurde. Wer dies behauptet, hat die intellektuelle Botschaft nicht verstanden. “Kein Schorle für Nazis” bedeutet Zivilcourage! Wenn kein Laden, kein Bäcker, kein Winzer und keine Gaststätte in der Region mehr irgendeine Ware oder Dienstleistung an Nazis verkauft, ist das der effektivste Weg, dass diese ganz schnell wieder verschwinden.” (Rheinpfalz, Leserbrief, 7. März). Und diese Strategie ist weder neu, noch niveaulos. Es gab und gibt Gegenden, in denen Nazis durch Verweigerung und Boykott das Leben schwer gemacht wird und wurde und dies teilweise mit Erfolg. Wer nicht in die Dorfgemeinschaft integriert wird, kann dort auch keine eigenen Inhalte verbreiten, keinen Rückhalt finden und zieht hoffentlich schnell wieder ab! Was ist dein Vorschlag, Fabian? Gemeinsam mit den Nazis Schorle trinken? Über Rassismus, Antisemitismus und deutsche Geschichte diskutieren? Vielleicht bist du den Nazis “deutsch” genug, andere werden von Nazis auf Weinfesten verfolgt und verprügelt, weil sie nicht in deren Weltbild passen. Wir bleiben dabei: Gesellschaftlicher Auschluss ist die einzige Antwort auf den Versuch der Nazis, sich in die Gemeinschaft zu integrieren, nicht zuletzt, um die Menschen zu schützen, die von Nazis täglich bedroht werden.

Der Leiter der Außenstelle Pfalz der Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Bernd Rückwardt bezeichnet das Verkleben von Aufklebern, auf denen sich gegen Faschismus ausgesprochen wird, als “radikalen Konfrontationskurs” der “nicht im Sinne der Demokratie” sei.

Er unterstellt der “Antifa-Szene” sich “immer weniger an demokratische Spielregeln zu halten”. Seine abenteuerlichen Unterstellungen begründet er wie folgt: “Neulich haben linke Aktivisten eine LpB-Veranstaltung gegen Rechtsextremismus in Bingen so massiv gestört, dass ihnen Hausverbot erteilt werden musste. Die anwesenden Nazis dagegen haben sich höflich zu Wort gemeldet”.
Was Herr Rückwardt als massive Störung bezeichnet, war der Protest junger Menschen dagegen, Neonazis als Gesprächspartner zu akzeptieren und deren Positionen somit diskutabel zu machen.
Die Forderung, die Nazis auszuschließen wurde mit dem Ausschluss der AntifaschistInnen beantwortet. Skandalös und “Demokratie gefährdend” ist hier an erster Stelle, dass Sozialdemokraten und Polizei in Bingen Neonazis ein Forum bieten und den Protest dagegen kriminalisieren. Das “Bündnis gegen Rechtsradikalismus” an der Weinstraße ging da geschickter vor. Schon vor ihren Veranstaltungen wurde abgeklärt, dass Neonazis unerwünscht sind.

Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass es Herrn Rückwardt doch eher um die Form als um den Inhalt geht. Also nicht etwa, dass Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus oder eine faschistische Ideologie, welche grundsätzlich Gewalt impliziert, im Vordergrund steht, sondern vielmehr die sogenannte “Einhaltung demokratischer Spielregeln”. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass getrost gegen Menschen gehetzt werden darf, wenn man das nur auf die richtige Art und Weise tut.

Weiter spricht er von einem “Zwei-Fronten-Krieg” und bedient sich damit totalitarismustheoritischer Bilderwelten, in denen angeblich die bürgerliche Demokratie von Extremisten von Links und Rechts bedroht würde und sich gegen beide Seiten auf gleiche Weise wehren müsse. Totalitaristische Welterklärungsmodelle, die Gemeinsamkeiten zwischen Links und Rechts unterstellen und grundsätzliche Unterschiede unterschlagen, führen zu einer Gleichsetzung von Links und Rechts und somit zwangsläufig zu einer Aufwertung rechtsextremer Ideologie.

Weiter führt Herr Rückwardt aus, es sei eine Situation entstanden, in der die Polizei die Rechten
vor Linken schützen müsse und unterstellt, ohne dies weiter zu begründen, dass das “provokante Gehabe” der Antifaschisten den Nazis Sympathien zuspielen würde. Zum einen ist es keine neue Situation, dass sich die Polizei schützend vor Neonazis stellt und die Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie somit oft erst ermöglicht. Vielmehr ist dies Teil des “normalen” Aufgabenbereichs der Polizei im bürgerlich-demokratischen Rechtsstaat. Zum anderen erschließt sich uns nicht, was am Vertreten antifaschistischer Positionen “provokantes Gehabe” sein soll, geschweige denn, wie durch Widerstand gegen Rechtsextremisten Sympathien für diese erzeugt werden sollen. Letztlich schlussfolgert er, man müsse sich nun auch eine Strategie gegen das Handeln Linker einfallen lassen.

Herr Rückwardt erweckt unweigerlich den Eindruck, dass es ihm mehr um Ruhe und die Abwesenheit von Konflikten geht, als um die nachhaltige Bekämpfung rechter Strukturen. Es scheint, als wolle er (wenn man den Rechten, die sich seinen Worten ja “brav” an die Spielregeln halten, schon nichts entgegenzusetzen habe) sich wenigstens durch die Diffamierung Linker profilieren um vom eigenen Unwillen oder Unwissen abzulenken.

Frau Ingrid Rehg (SPD), Bürgermeisterin von Kirchheim, hat dem “Bündnis gegen Rechtsradikalismus” verboten, eine Veranstaltung mit dem Titel “Argumente gegen rechte Stammtischparolen” im Kirchheimer Gemeindehaus durchzuführen. Das Bündnis gegen Rechts wird von WASG, Grünen und GewerkschafterInnen getragen. Vor Ort sind sie die einzigen, die sich gegen den erstarkenden Rechtsextremismus engagieren. Doch Ingrid Rehg gefällt dies offenbar nicht. Sie wirft dem Bündnis vor, es habe am 13. Januar die antifaschistische Demonstration nach Kirchheim gebracht. Dabei war es nicht das Bündnis, sondern die Tatsache, dass sich in Frau Rehgs kleinem Dörfchen seit über einem Jahr Nazis mit einem Schulungs- und Veranstaltungszentrum breitmachen. Klar ist, dass Antifas dorthin kommen, wo Nazis sind. Wenn Frau Rehg nicht möchte, dass in “ihrem” Dorf Leute gegen Nazis demonstrieren, muss sie dafür sorgen, dass die Nazis verschwinden. Veranstaltungen gegen Rechts zu verbieten ist dabei nicht der erfolgversprechendste Weg.

Auch Karl Meister (FWG), Bürgermeister von Altleinigen, möchte keinen Aufruhr in “seinem” Dorf. Auch hier besitzt die NPD Räumlichkeiten. Bei einer Veranstaltung gegen Rechts befürchtet er ein großes Polizeiaufgebot und Gegenreaktionen der Nazis. Das wolle er den BürgerInnen ersparen.

Doch Totschweigen löst keine Probleme. Während die Diskussion um Aufkleber gegen Rechts am kochen ist, findet ohne größere Empörung ein weiterer Aufmarsch der Neonazis mitten in Grünstadt statt. Öffentlich versuchen die Nazis, die Geschichte umzulügen und Deutschland als Opfer des Zweiten Weltkrieges darzustellen, während die lokale Politik sich gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Strategien gegen Links überlegt.

Gerade den BürgermeisterInnen scheint Ruhe und die Unsichtbarkeit des bestehenden Konflikts lieber zu sein, als offenes Engagement gegen Rechts. Es wird eine Politik der Ignoranz betrieben – sei es aus Sorge um den Ruf der Gemeinde, aus Angst vor dem Ausbleiben des Tourismus oder schlicht deshalb, weil man kein Problem mit Nazis hat, solange sich diese an die “Spielregeln” halten. Das ist schlimm genug, konnte uns aber kaum verwundern. Etwas anderes hätten wir weder von Frau Rehg noch von Herrn Meister erwartet. Dass diese nun aber direkte Schützenhilfe für Nazis leisten, indem sie Informationsveranstaltungen und Aufklärungsarbeit gegen Rechts gezielt sabotieren, ist geradezu skandalös. Beide haben deutlich gemacht, dass sie eher Teil des Problems, als Teil einer Lösung im Sinne eines Engagements gegen Rechts sind.

Dem Wegschauen wollen wir lauten und kontinuierlichen Widerstand entgegensetzen. Solange sich die Nazis in Kirchheim, Altleiningen und Grünstadt breitmachen, solange wird es dort auch antifaschistischen Widerstand geben.

Kein Schorle für Nazis!
Kein ruhiges Hinterland!
Weg mit den Nazis und ihren Zentren! Überall!

Antifaschistisches Aktionsbündnis Rhein-Neckar (AARN)
März 2007

Kontakt
Email: vorderpfalz@no-log.org
Website: www.kein-schorle.de.vu

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