Verfassungsschutzoffensive in Heidelberg und Mannheim

Pressemitteilung der Roten Hilfe: Erst vor zwei Monaten waren wir mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit getreten, um auf insgesamt drei Anwerbeversuche des Inlandsgeheimdienstes in Heidelberg und Mannheim aufmerksam zu machen. Zielobjekte der MitarbeiterInnen des Stuttgarter Innenministeriums waren hierbei stets Personen, die aus den unterschiedlichsten Gründen der antifaschistischen Szene Heidelbergs zugeordnet wurden. Alle drei Versuche, InformantInnen für den staatlichen Repressionsapparat anzuwerben, scheiterten an den stets ablehnenden Haltungen der Betroffenen.

Nun sind uns innerhalb der letzten drei Wochen insgesamt vier weitere Anquatschversuche bekannt geworden. Mit sechs „Hausbesuchen“ im Raum Heidelberg allein im Zeitraum vom 19. November 2004 bis 2. Februar 2005 hat die Aktivität des Geheimdienstes damit einen erschreckenden Höhepunkt erreicht.

Am Mittwoch, den 19.01.2005, sucht ein ca. 40-jähriger Mann mit dem uns wohlbekannten Decknamen „Herr Opitz“ die Wohnung eines Heidelberger Studenten auf, um mit ihm über dessen angebliche „Kontakte zur Antifa-Szene“ zu sprechen. Mehrere Versuche, ihn abzuwimmeln, scheitern am penetranten Auftreten des Schnüfflers, bis es dem von Repression Betroffenen schließlich doch gelingt, ihn des Hauses zu verweisen. Wie in einem vorhergehenden Fall weist der Geheimdienstler aus Stuttgart darauf hin, dass sie wegen einer „routinemäßigen“ Polizeivorkontrolle auf der Fahrt zu einer antifaschistischen Demonstration in Aschaffenburg im Jahre 2004 auf ihn aufmerksam geworden seien.

In derselben Woche taucht zum nunmehr zweiten Male ein VSler bei den Eltern eines in Ziegelhausen bei Heidelberg wohnenden Schülers auf, um mit ihm ein Gespräch über dessen politische Tätigkeiten zu führen. Da der 19-Jährige aber – wie beim ersten Anquatschversuch vor etwa einem Jahr – wieder nicht zu Hause ist, zieht der Beamte mit dem Hinweis, es nochmals versuchen zu wollen, wieder ab.

Zwei Wochen später, am 02.02.2005, besuchen ein Mann und eine Frau vom Stuttgarter Innenministerium eine politische Aktivistin in Mannheim. Wieder wollen sie aus Interesse an den Kreisen, in denen sich die Frau bisweilen bewegt, ins Gespräch kommen, werden aber sofort abgewiesen.

Und am gleichen Tag versuchen sie bei einem in Anti-Atom-Zusammenhängen organisierten Menschen aus Heidelberg, an interessantes Material über die Politszene heranzukommen. Wieder scheitert der Anwerbeversuch an der ablehnenden Haltung des Betroffenen.

Wir gehen auf der Basis der uns zur Verfügung stehenden Informationen davon aus, dass der Verfassungsschutz (VS) zurzeit energischer als sonst üblich versucht, AktivistInnen aus unliebsamen linken Zusammenhängen (Antifa-, Antira- und Anti-Atombewegung) als MitarbeiterInnen seiner Behörde zu rekrutieren, weil ihnen die öffentlich zugänglichen Quellen für die Erstellung eines adäquaten Szeneprofils nicht mehr ausreichen Die Homepage des baden-württembergischen Verfassungsschutzes wurde in den letzten Wochen und Monaten nicht sonderlich gut gepflegt, wodurch der falsche Eindruck politischer Inaktivität suggeriert wird. Doch die Ruhe trügt: Er interessiert sich sehr wohl für die Arbeit linksradikaler Gruppen, ohne jedoch seinen Informationsstand preiszugeben.

Eine andere Form staatlicher Repression findet sich in Freiburg und im Raum Stuttgart, wo eher die behördlich von den VSlerInnen getrennten StaatsschützerInnen der jeweiligen Kriminalpolizeien offensiv in Erscheinung treten, indem sie vorliegende Ermittlungsverfahren gegen politisch Aktive dazu benutzen, Szenen via richterlich angeordneter Hausdurchsuchungen auszuleuchten. Derartige Masseneinsätze sind im Raum Heidelberg seltener; offenbar soll hier der unkontrollierbare Teil der SchützerInnen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in jenen Bereichen einspringen, wo anderswo zuständige Dezernate der Kriminalpolizei zuschlagen können.

JedeR politisch Aktive oder bisweilen in linken Zusammenhängen Anzutreffende muss damit rechnen, angequatscht zu werden. Oftmals geschieht dies sogar unter Einbeziehung der Eltern und/oder der Geschwister.

Die einzig richtige Reaktion auf Anwerbeversuche kann nur das sofortige Ablehnen jedes Gesprächs sein, denn jede noch so nebensächlich erscheinende Information kann für VerfassungsschützerInnen ein wichtiger Baustein in ihrem Bild von den politischen Zusammenhängen oder sogar für abenteuerliche Anklagekonstruktionen gegen die/den BetroffeneN und ihr/sein politisches Umfeld sein.

Alle, deren persönliche Lebensgestaltung Anlass bietet, vom Inlandsgeheimdienst ins Visier genommen zu werden, sollten in nächster Zeit vermehrt auf Folgendes achten:

1. Die von staatlicher Repression betroffenen Menschen trifft keine Schuld; sie haben nichts „falsch“ gemacht; sie sind nicht mit den „falschen“ Leuten zusammen gekommen; sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen vom staatlichen Repressionsapparat „ausgewählt“ worden.

2. BeamtInnen des Verfassungsschutzes, deren Arbeit sich im Gegensatz zum Staatsschutz ausschließlich auf geheimdienstliche Erkenntnisse bezieht (auch wenn sie oft von der Polizei mit Materialien gefüttert werden, etwa mit Daten von Personenkontrollen), haben keinerlei Befugnisse, eine Aussage oder Mitarbeit zu verlangen. Sie haben keine Macht, juristischen oder sonstigen Druck auf die Angesprochenen auszuüben (auch wenn sie in Extremfällen damit drohen); deshalb verweist mensch sie am Besten gleich des Hauses.

3. Die betroffene Person meldet den „Anquatschversuch“ am Besten sofort der „Roten Hilfe e. V.“ (oder irgendeiner anderen Anti-Repressionsgruppe in der Nähe) und erklärt sich einverstanden, diesen Vorgang zu veröffentlichen, denn nichts ist dem Verfassungsschutz unliebsamer als eine Öffentlichkeit, die seine Arbeit kritisch wahrnimmt und ans Tageslicht befördert.

4. Bei VSlerInnen handelt es sich immer um geschultes, professionell ausgebildetes Personal, das den Betroffenen in jeder Hinsicht immer um mehrere Schritte voraus ist. Zu denken, ihnen bei einem Gespräch etwas „vorspielen“, sie auf falsche Fährten locken zu können, ist fatal – die spezifische Auswahl erfolgte ja deshalb, weil sie genauestens über die Aktivitäten, die (ehemaligen) Freundeskreise der Einzelnen und über das jeweilige Freizeitverhalten Bescheid wissen. Eine Zielobjektivierung erfolgt niemals zufällig.

Die Rote Hilfe e. V. Heidelberg protestiert hiermit zum wiederholten Male ausdrücklich gegen die Anwerbeversuche des Geheimdienstes. Rote Hilfe e. V. Ortsgruppe Heidelberg

Quelle: http://www.rote-hilfe.de

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