Viel Polizei, wenige Nazis. Antifa-Blockaden in Pforzheim am 23. Februar 2013.

Die alljährliche Fackelmahnwache der faschistischen Gruppierung „Freundeskreis ein Herz für Deutschland“ fiel 2013 auf einen Samstag und entsprechend war eine größere Teilnehmerzahl der Nazis zu erwarten, der sich allerdings auch eine landesweite antifaschistische Mobilisierung entgegen stellte. Die Polizei hatte mit einem absurden Aufgebot von ca. 1000 (Korrektur:) 1600 Beamt_innen ebenfalls stark nach Pforzheim mobilisiert.

Pforzheim2013-0

Thema der Veranstaltung war der Jahrestag der Bombardierung der Stadt zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Nazis versuchen die Kriegsschuld umzudeuten und die Alliierten als „Verbrecher“ darzustellen, während die Wehrmacht verherrlicht und der NS verharmlost wird. Das offizielle Gedenken der Stadt blendet die historischen Rahmenbedingungen teilweise aus und legt des Fokus zusammenhangslos auf die zivilen Opfer des Bombardements, während Antifaschist_innen stets auf die historischen Zusammenhänge, die deutsche Kriegsschuld und die Beteiligung von Industrie und Zivilgesellschaft an der Militarisierung des nationalsozialistischen Deutschlands hinweisen.

Grün-roter Polizeistaat

Pforzheim2013-1Demnach distanziert sich auch der OB Gert Hager (SPD) von den Antifaschist_innen, bezeichnete uns als reisende Chaoten, setzte uns mit Nazis gleich und sorgte mit Hilfe des Polizeiapparates für die Aushebelung demokratischer Grundrechte zum Schutz der „öffentlichen Ordnung“, was im Klartext der möglichst reibungslose Ablauf der Nazi-Mahnwache bedeutet.

Für die Antifaschist_innen aus Mannheim und Umgebung, die mit einem Reisebus nach Pforzheim kamen, bedeutete dies eine skandalöse Razzia, was letztlich zur Verhinderung der Demonstrationsfreiheit führte. Unser Bus wurde einige Kilometer vor der Stadtgrenze auf einen Parkplatz heraus gezogen, wo bereits 100 bis 150 Polizist_innen bereit standen, um die 50-köpfige Busbesatzung einzeln einer Durchsuchung mit anschließender Personalienkontrolle zu unterziehen. Von allen Antifaschist_innen wurden zwangsweise Portraitfotos angefertigt, insgesamt wurden wir etwa 1,5 Stunden festgesetzt. Ergebnis: eine Ingewahrsamnahme, weil die Handschuhe eines Antifaschisten als „gefährlich“ eingestuft wurden. Die vom Pforzheimer Polizeidirektor Metzger angeordnete Razzia geschah verdachtsunabhängig zur „Gefahrenabwehr“, entsprechend einem faschistoiden Polizeigesetz, das unter grün-roter Regierung ebenso gut funktioniert, wie damals unter schwarz-gelber. Vor fünf Jahren fuhren wir ebenfalls am 23. Februar mit dem Bus nach Pforzheim, auch damals gab es eine ähnliche Razzia. Der entscheidende Unterschied 2013 war, dass wir so lange festgehalten wurden, bis die Teilnahme an der Demonstration nicht mehr möglich war.

Blockaden sabotieren die Nazi-Mahnwache

Pforzheim2013-2Die antifaschistischen Aktionen in der Innen- und Nordstadt und auf dem Wartberg fanden somit zu Beginn ohne Mannheimer Beteiligung statt. Ein antifaschistischer Demonstrationszug gelangte bis auf die Zufahrt zum Wartberg und blockierte damit die Anreise der Nazis. Es kam zu Auseinandersetzungen: Antifaschist_innen hatten Absperrungen durchbrochen, die Polizei knüppelte und setzte Pfefferspray ein, was zu verletzten Demonstrant_innen führte. Neben der Menschenblockade gab es auch zahlreiche Materialblockaden auf den Zufahrtswegen zum Berg. Eine größere Gruppe Antifaschist_innen wurde von der Polizei eingekesselt und für Stunden in der Kälte festgehalten, selbst Toilettengänge wurden den Menschen verwehrt. Die Personalien von hunderten Antifaschist_innen wurden aufgenommen. Nach unserer verspäteten Ankunft konnten wir noch den weniger wichtigen Blockadepunkt im Südwesten des Wartbergs unterstützen.

Insgesamt führten die Material- und Menschenblockaden dazu, dass die Anreise der Nazis massiv behindert wurde. Von den etwa 200 Nazis schaffte es nur knapp die Hälfte auf den Wartberg. Der größere Teil, darunter auch die Nazis aus der Rhein-Neckar-Region, versuchte es nicht einmal und entschied sich für eine Ersatzveranstaltung im Nachbardorf Mühlacker. Offenbar hatten die Aktionen der letzten Wochen und Monate in Heidelberg, Dresden oder Mannheim ihre psychologischen Spuren hinterlassen.

Unsere Solidarität gegen die Zusammenarbeit von Staat und Nazis

Pforzheim2013-3Die skandalösen polizeistaatlichen Methoden sorgten zwar für Festnahmen, Kontrollen, Verletzte (inkl. Krankenhausaufenthalten) und schränkten sogar unser Demonstrationsrecht ein. Trotzdem konnte die Polizei den antifaschistischen Widerstand nicht brechen. Konsequente Aktionen sabotierten die Nazi-Mahnwache und machten damit den 23. Februar 2013 das erste Mal seit Jahren zu einem Erfolg in Pforzheim – wenn auch zu einem hohen Preis.

Gerade für die Mitglieder der Grünen Jugend und der Jusos war die Razzia unseres Busses ein Lehrstück in Sachen Polizeistaat im Auftrag der grün-roten Regierung. Ob und wie im Nachhinein sinnvoll juristisch dagegen vorgegangen werden kann, müssen wir gemeinsam diskutieren und von einem Anwalt prüfen lassen.

Wer der Polizeidirektion Pforzheim vorab etwas Arbeit machen möchte und sich zudem für den Verbleib seiner persönlichen Daten interessiert, dem empfehlen wir den Musterbrief der AG Datenschmutz der Roten Hilfe. Sendet diesen an: Polizeidirektion Pforzheim, Bahnhofstraße 13  75172 Pforzheim mit folgendem Inhalt:

Ich verlange auf Grundlage von § 45 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG),§ 11, Abs. 5 Verordnung des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Durchführung des Polizeigesetzes (DVO PolG),§ 19, Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und § 21, Abs. 1 Landesdatenschutzgesetz (LDSG) zu folgenden Punkten Auskunft über die durch die Polizeidirektion Pforzheim  zu meiner Person in Systemen der elektronischen Datenerfassung und -verarbeitung gespeicherten Daten, im Besonderen über personenbezogene Datensätze im polizeilichen Auskunftssystem POLAS, LABIS, sowie im elektronischen Vorgangsbearbeitungssystemen, aber auch in Hilfsdateien wie etwa der AD PMK;  über den Zweck der Verarbeitung; über die Herkunft der Daten, soweit diese gespeichert oder sonst bekannt ist; über die Empfänger oder die Gruppen von Empfängern, an die die Daten übermittelt wurden.

Pforzheim2013-4Die Veränderung der Gesellschaft wird aber nicht über Gerichte und Behörden, sondern nur auf politischem Wege erreicht. Der direkte Vergleich der Aktionen am 16. Februar in Mannheim und am 23. Februar in Pforzheim unter grundsätzlich gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen verdeutlicht die politische Dimension ordnungspolitischer Entscheidungen. Der rechte Hardliner OB Hager (SPD) und Einsatzleiter Metzger entschieden sich dafür, Pforzheim temporär in einen autoritären Polizeistaat zu verwandeln, während der linksliberale OB Kurz (SPD) und Einsatzleiter Gräter in Mannheim eine andere Linie verfolgten, Antifaschismus als legitimes Anliegen sahen und durch Deeskalation Verletzte und Verhaftungen vermieden. Die Aufstellung der Zivilgesellschaft in einer Stadt und die Bündnisarbeit gegen Nazis haben auf solche Entscheidungen einen erheblichen Einfluss. Letztlich sind es aber die Aktionen auf der Straße, die einen Naziaufmarsch verhindern.

Den Verletzten vom 23. Februar wünschen wir gute Besserung und den Antifaschist_innen, die aus welchen Gründen auch immer mit einem Ermittlungsverfahren rechnen müssen, sichern wir unsere Solidarität zu!

Zuletzt bedanken wir uns bei der Antifajugend Ludwigshafen/Mannheim, die die Busfahrt gut organisiert hat und auch damit für einen solidarischen Zusammenhalt der unterschiedlichen Antifaschist_innen im Bus sorgte, was angesichts der polizeilichen Angriffe auch notwendig war.

Ob schwarz-gelb oder grün-rot… Polizeistaat abschaffen!

Naziaufmärsche verhindern!

Fotos vom Tag gibt es bei der AG Freiburg (Flickr)
Artikel und Fotos von nigra bei  linksunten
PM des AABS bei linksunten
alert|a pforzheim

Seite drucken Seite drucken