Die Initiative „Mannheim sagt JA – Flüchtlinge Willkommen“ scheint sich zu einer großen Sache zu entwickeln und ebenso groß wird wahrscheinlich die Demo am 17. Januar werden. Bei solchen Anlässen meinen natürlich alle möglichen Leute, ihren Senf dazu geben zu müssen. So ist vor allem von Vertreter*innen bürgerlicher Parteien, lokalen Bloggern und einer ganzen Menge Facebook-Trolls zu vernehmen, die Initiative solle sich doch von „linksextremistischen Gruppen“ distanzieren. Aber ist es nicht eigentlich umgekehrt? Sollten sich die angesprochenen Gruppen nicht besser von den bürgerlichen Parteien und angepassten Journalist*innen distanzieren? Immerhin heißen die linken Gruppen Flüchtlinge schon immer willkommen, während das Establishment nach jahrzehntelanger Ausgrenzung der Migrant*innen erst seit kurzem einen Kurswechsel diskutiert und die Willkommenskultur zumindest verbal für sich entdeckt hat. Ausdrücklich sagen wir aber, dass es in Mannheim, wie auch in anderen Städten, sehr wohl auch Menschen gibt, die in Parteien organisiert sind und die sich glaubhaft und verlässlich „gegen Rechts“ stellen und für die es keine populären Anlässe braucht, sich zu engagieren, gerade auch unter den Organisator*innen der Veranstaltung „Mannheim sagt JA“.
AK Antifa kommt vor CDU
Zuerst einmal muss man fairerweise anmerken, dass die Liste der Unterstützergruppen der Initiative „Mannheim sagt JA – Flüchtlinge Willkommen“ sehr spontan, zufällig und teils ohne politisches Kalkül entstanden ist. Die Initiator*innen fragten die Öffentlichkeit, wer ihr Anliegen gut fände und wer dies mit Ja beantwortete, kam eben auf die Liste. So entstand ein lustiges Sammelsurium und von der Bio Brotbox über die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, verschiedenste Parteien, Vereine, Religionsgemeinschaften bis zu linken Gruppen ist alles Mögliche vertreten.
Man sollte eine solche Auflistung von politischen Akteuren, die eine bestimmte Initiative unterstützen, nicht mit einem dauerhaft arbeitenden Bündnis verwechseln. Jedem sollte klar sein, dass man sich durch Unterstützung eines bestimmten politischen Ziels nicht automatisch mit denen gemein macht, die dasselbe Ziel unterstützen. Immerhin kann man ein Ziel aus unterschiedlichen Motiven verfolgen. Und das ist für uns der relevante Punkt.
Mit den etablierten politischen Parteien haben wir wenig gemeinsam. Schwarz-gelb hat mit den Stimmen der SPD 1993 nach deutschlandweiten rassistischen Protesten und Ausschreitungen (wir erinnern an das Pogrom von Mannheim-Schönau) durch eine Verfassungsänderung das Grundrecht auf Asyl so massiv eingeschränkt, dass es fast abgeschafft wurde. Das Gesetz führte von einer Asylantragszahl von 438.191 in 1993 zu einer Absenkung auf 21.029 im Jahr 2006 (Quelle: Wikipedia). Erst in den letzten Jahren hat sich die Bereitschaft Flüchtlingen die Chance auf ein Asylverfahren zu gewähren in Politik und Gesellschaft wieder verbreitet.
In Baden-Württemberg haben wir einen der ekelhaftesten CDU-Landesverbände überhaupt. Das SA-Mitglied Kiesinger war bis ’66, der ehemalige Nazi-Richter Filbinger bis ’78 Ministerpräsident und auch in der jüngeren Vergangenheit hat die CDU über das Studienzentrum Weikersheim Kontakte zu rechtskonservativen Ideologen gepflegt und sich mit rassistischen Sondergesetzen gegen Migrant*innen und Flüchtlinge hervorgetan. Wir erinnern uns an die Schikane der sog. „Residenzpflicht“, die es Flüchtlingen bei Strafe verboten hat, ihren Landkreis zu verlassen. Das bedeutete z.B., dass in Mannheim untergebrachte Flüchtlinge keine Freund*innen in anderen Teilen Baden-Württembergs besuchen durften, auch wenn sie nur wenige Minuten mit der Bahn entfernt wohnen. (Da die verschiedenen Bundesländer jedoch jeweils eigene Regelungen aufstellen, ist es ihnen weiterhin untersagt, den Rhein nach Ludwigshafen hin zu passieren.) Oder die Abschiebehaft. Jahrelang wurde in der Mannheimer JVA ein im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährliches Abschiebegefängnis betrieben. Erst nachdem es in den Containern brannte und es schwerverletzte Flüchtlinge gab, wurde ein Gutachten erstellt, das den weiteren Betrieb des Abschiebegefängnisses untersagte. Später hat auch der Europäische Gerichtshof das jahrelang in Deutschland praktizierte System der Abschiebehaft teilweise untersagt und reglementiert.
Dass die CDU-Politikerin Frau Schmitt-Illert bei einer Demo unter dem Motto „Flüchtlinge willkommen“ mitläuft, macht uns also stutzig. Aber wir wollen ihr zugestehen, dass sie ihren eigenen Kopf hat und wenn sie ihre christlichen Werte als Motivation für eine Anti-Pegida und Pro-Flüchtlings-Demo nennt, nehmen wir ihr das trotz aller oben genannten Punkte ab und hoffen, dass sie damit zu einer kleinen realpolitischen Verbesserung für die hier lebenden Flüchtlinge beitragen kann. Das bedeutet weder, dass wir uns mit ihren Motiven gemein machen, noch, dass wir unsere Kritik an der CDU verschweigen.
Die Grünen übernahmen zusammen mit der SPD beim Landesregierungswechsel 2011 viele Missstände der schwarz-gelben Vorgängerregierung, sorgten aber auch für einige konkrete Verbesserungen in der Flüchtlingspolitik. Die Residenzpflicht wurde gelockert, das Gutscheinsystem abgeschafft, weitere Verbesserungen umgesetzt. Dennoch stimmte Kretschmann 2014 im Rahmen des „Asylkompromiss“ trotz aller Proteste von Menschenrechtsorganisationen der Einstufung unter anderem des Kosovo als sog. „sicherer Herkunftsstaat“ zu. Die Landesregierung setzte die Sammelabschiebungen von Menschen in den Kosovo munter fort. Verfolgung und Armut sind die Folgen, insbesondere für Roma, die teils jahrelang bei uns lebten, Freund*innen, Jobs und ihren Lebensmittelpunkt verloren. Pro Asyl kommentierte das so: „Realpolitik in ihrem schlechtesten Sinne: Baden-Württemberg stimmt Asylrechtsverschärfung im Bundesrat zu“. Dass ausgerechnet Vertreter*innen dieser Parteien jetzt eine Initiative mit dem Titel „Flüchtlinge willkommen“ starten, macht uns einerseits wütend, andererseits hoffen wir, dass sich in den Parteien Diskussionen in andere Richtungen bewegen, dass der konservative Kretschmann und der Hardliner Gall Gegenwind bekommen und sich die Dinge zum Positiven verändern. Weiter nehmen wir zur Kenntnis, dass es durchaus Unterschiede zwischen den persönlichen Meinungen der Politiker*innen und den Entscheidungen der Betonköpfe von Amtsträger*innen und Sachbearbeiter*innen gibt.
Gegen die Extremismustheorie – Geheimdienste abschaffen!
Für uns ist die Frage geklärt, warum wir einer solchen Demo nicht fern bleiben, obwohl auch Leute mitlaufen, die uns politisch sehr fremd sind. Wie aber ist es andersherum? Immerhin richten sich die meisten Forderungen nach Abgrenzung an die Vertreter*innen etablierter Parteien. Die Abgrenzungsforderer suchen dabei Gruppen heraus, denen der Inlandsgeheimdienst den linksextremistischen Stempel aufgedrückt hat, nachzulesen in den jährlich erscheinenden Berichten der Landes- und Bundesämter für Verfassungsschutz.
„Verfassungsschutz“ nennt sich unpassenderweise der deutsche Inlandsgeheimdienst, ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Von ehemaligen Nazis mit aufgebaut, sollte er ein Bollwerk des „kapitalistischen Westens“ in der BRD gegen den „kommunistischen Osten“ sein und Feinde im „Inneren“ aufspüren. Abbekommen haben es Mitglieder linker Parteien und Organisationen, Friedensaktivist*innen, Antifaschist*innen und Umweltschützer*innen; sogar ehemals von den Nazis verfolgte Widerstandskämpfer*innen mussten sich eine erneuten Bespitzelung und Gängelung durch den „Verfassungsschutz“ gefallen lassen. Die „Extremisten“ wurden beobachtet, ihre Organisationen teilweise verboten, viele bekamen Berufsverbote. Als 1989 das Ende des Kalten Krieges eingeläutet wurde, bekam der „Verfassungsschutz“ ein Legitimationsproblem. Er musste sich neu ausrichten und vermehrt wurde gefordert, auch rechte Organisationen zu überwachen. Dass er damit völlig gescheitert ist, wurde der Öffentlichkeit nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) vor Augen geführt. Während der „Verfassungsschutz“ Punkbands beobachtet und Begriffe wie „Ausländerextremismus“ kreiert, zogen Neonazis mordend durchs Land und die Behörden kamen ihnen jahrelang nicht auf die Spur, obwohl „Verfassungsschutz“-Mitarbeiter und bezahlte Spitzel eng ins Netzwerk des NSU verstrickt waren.
Wer also die Pamphlete des „Verfassungsschutz“ als Begründung für seine Abgrenzungsforderungen nennt, geht einer politisch rechts gefärbten, zu tiefst undemokratischen und intransparenten Behörde auf den Leim. Gerade in der Auseinandersetzung mit der „Pegida“-Bewegung zeigt sich die Schwäche der Extremismustheorie, die Arbeitsgrundlage des „Verfassungsschutz“. Der Extremismusbegriff wurde in den 70er Jahren vom Geheimdienst selbst erfunden und besäße keinen wissenschaftlichen Ursprung, wenn nicht der Haus- und Hofpolitikwissenschaftler des Geheimdienstes Jesse eigens eine wissenschaftliche Konstruktion für den Begriff aufgeschrieben hätte. In den vergangenen Jahrzehnten fand er Einzug in die Alltagssprache.
Die Extremismustheorie geht von extremen, äußeren Rändern im politischen Spektrum aus und kommt absurderweise zu dem Schluss, dass sich extreme Rechte und Linke näher seien als diejenigen, die in der Mitte des Spektrums verortet werden. Zur bildlichen Darstellung des Ganzen wurde ein Hufeisenmodell erfunden. Wer sich ernsthaft mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzt, merkt schnell, dass dieses Modell völliger Unsinn ist. Am Beispiel „Pegida“ sehen wir, dass rassistische und antidemokratische Einstellungen bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein vorhanden sind. Gruppen, die als „linksextremistisch“ stigmatisiert sind, setzen sich dagegen für mehr Transparenz und Demokratie von Unten ein, kämpfen gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung. Die Gleichsetzung von Linken mit Nazis hinkt also gewaltig. Die Hufeisenlogik könnten wir als schlechten Witz abtun, wenn nicht so viele auf sie hereinfallen würden…
Beispielsweise der Mannheimer Kreisvorstand der CDU. Ihr Sprecher Herr Löbel ist sich nicht zu blöd dazu, sich vom Unterstützerkreis der Initiative „Mannheim sagt JA“ abzugrenzen, unter anderem mit der Begründung, die interventionistische Linke würde sich gegen die Demokratie aussprechen. Da muss man müde lachen, wenn man sich das Demokratieverständnis der baden-württembergischen CDU anschaut, sich noch einmal die Skandale der Mappus-Zeit vor Augen führt und dann einen Vergleich mit den Forderungen der iL nach Transparenz und Demokratie von Unten zieht. Nebenbei erfindet Löbel noch schnell eine „Antifaschistische Kreisvereinigung“, was schon einiges über seine Kompetenz in Sachen politischer Bewertung linker Gruppen aussagt.
Wir schließen mit der Erkenntnis, dass Massenbewegungen immer auch eine Masse an unqualifizierten Einschätzungen, Kommentaren und Forderungen mit sich bringen. Zudem sehen insbesondere Berufspolitiker*innen taktische Erwägungen im Vordergrund, während die eigentliche Sache, um die es geht, schnell in den Hintergrund rückt. Dennoch wollen wir Initiativen unterstützen, die in die richtige Richtung gehen und durch kritische Teilnahme intervenieren. Eine solche Initiative ist „Mannheim sagt JA“ allemal, denn es geht um nicht weniger als den Aufbau einer Willkommenskultur, die Grundsatzfragen der Flüchtlingspolitik und die Chance zur Verbesserung des Lebens vieler tausend Menschen, die als Geflüchtete und Migrant*innen nach Deutschland kommen, auf der Suche nach einem besseren Leben.
Wir sagen deshalb mit vielen anderen zusammen Ja – Flüchtlinge Willkommen!
Gegen kapitalistische und rassistische Ausgrenzung!
Geheimdienste abschaffen!
Für eine offene, freie und solidarische Gesellschaft!
Links zum Thema
Aufruf zum Aktionstag „Mannheim sagt JA“ und zur Kundgebung zum 10. Todestag von Oury Jalloh
„ausgeschnüffelt – Verfassung schützen – Geheimdienst abschaffen“
Flüchtlingsrat Baden-Würrtemberg
Inititative gegen jeden Extremismusbegriff
Forum für kritische Rechtsextremismusforschung
Jugendzentrum in Selbstverwaltung